Erzaehlungen aus dem Nachlass
klafften weit. Alle Schätze und Herrlichkeiten, die in Linnen wohlverwahrt ruhten sollten heute heraus. »Zieh dich schön an», hatte Karl ihr gesagt. – Die Kleine trippelte und trug alle ihre armseligen verschossenen Kleinodien, die sie von der Mutter her besaß zu Hauf. Das waren ein paar feine, feine Lederschuh, die Mutter hatte sie an der Hochzeit getragen. Dann ein großes Shawl, das wollte sie über ihre Jacke thun, weil die am Kragen besonders schon recht fadenscheinig aussah. Dann legte sie das grüne Kachemirkleid zur Hand. Das sah ja noch ganz gut aus; auf den Hut steckte sie sich noch eine neue Masche auf, und die gewirkten Handschuh durfte sie nicht vergessen. – Dann zog sie sich an. In einer halben Stunde war sie fertig. Sie sah nach der Uhr. Kaum fünf. Sie seufzte. Aber da und dort gab es ja am Anzüge noch zu ordnen, zu richten und zu stecken. Schließlich legte sie um den Hals noch das große Goldkreuz an dem schwarzen Sammetband, das theuerste und wertvollste Erbstück der Mutter.
Dann setzte sie sich nieder. Arbeiten konnte sie nichts mehr. Wie langsam diese Uhr tickte. Und sie begann wieder auf und ab zu trippeln. Trug den Shawl vom Stuhl zum Bette, vom Bette zum Stuhl und glätte(te) jedes Mal die Falten und Fältchen desselben. Richtig! noch ein Seidentuch besaß sie ja. Das wollte sie als Taschentuch mitnehmen. Sie nahm es vor, glättete sorgfältig wieder das Papier, in dem es verhüllt gewesen war, und steckte das Seidenzeug zu sich. – Endlich war es Zeit. – Zehnmal trat sie wieder u. wieder vor den Spiegel, bis sie sich überzeugt hatte, dass alles gut saß. Der Hut schien ihr selbst wie neu und die altmodische Jacke verdeckte das gelbe Hülltuch; Sie war mit sich zufrieden. – Kaum konnte sie ihre Thür versperren, so zitterte sie vor Freude. Sie stürzte die Treppen hinab. Der Hausbesorger, den sie heftig anstieß im Vorübereilen, fluchte und schaute ihr kopfschüttelnd nach. – Sie war unten. Der Regen hatte aufgehört. Karl stand am Eck. Vom Weiten erkannte sie ihn beim Schein der Laterne. Er trug einen gelben Überrock und sehr rothe Handschuh: Wie vornehm er aussieht, wie ein Graf, dachte Betty und lief ihm lachend entgegen. Sie reichten sich die Hand. Dann gingen sie. Das Mädchen sprach in einem fort. Auch ihr Begleiter war guter Dinge. Sie hätte gern etwas über ihren Anzug gehört; aber er sagte nichts. Eigentlich kränkte sie das. Aber da ward sie eines Gassenjungen gewahr, der in den Pfützen am Rande des Gangsteiges herumtappte. Das war sehr niedlich anzusehen und sie lachte wieder so laut, dass die Leute sich umschauten und Carl ein etwas unwilliges Gesicht machte. – Das Theater war voll. Die Logen füllten prächtige Toiletten und reiche Uniformen. – Im Parquet war noch ein Kommen und Gehen, Aufstehen und Sesselklappen. Leichte Grüße wurden getauscht hie und da ein paar Worte geflüstert…Wie das Summen eines Bienenstockes klang ein Murmeln durch die hohen, goldgeschmückten, lichten Räume; auf der Gallerie ab und zu laute Stimmen, die heftiges »Pst« hervorrufen. – Betty saß dort oben wie berauscht. Sie musste von Zeit zu Zeit die Augen schließen. Es war ihr, als müsste ihr diese Fülle von Licht das Hirn ausbrennen. Sie war selig. Bald war es ein Bild an der Decke, bald ein Zierrat an der Seite, bald wieder eines der kleinen Amorettchen, das die Brüstung der Gallerie mit Gypsrosen umwand, das ihr Entzücken im höchsten Grade wach rief. Unaufhörlich machte sie Karl auf all die Herrlichkeiten aufmerksam und sprudelte mitten dazwischen Worte des Dankes heraus für die große, große Freude, die er ihr bereitet. Karl schwieg. Er ärgerte sich. Die Leute herum wurden schon aufmerksam und machten ihre Bemerkungen. Neben ihm auf der anderen Seite saß ein junges, schönes Frauenzimmer, die ihn fast mitleidig ansah. Der Commis empfand etwas wie Scham. Er that, als gehe ihn das Geplauder seiner Nachbarin nichts an, und strich mit weltmännischer Gleichgültigkeit in einem fort sein fettes, glattgekämmtes Haar. – Die glückliche Betty aber bemerkte seine Verstimmung nicht. Sie schaute umher in den prächtigen Räumen, betrachtete die vornehmen, reichgekleideten Menschen und ihre ganze kleine, lichtarme Seele war voll Bewunderung Jubel und Dank. – *
Die letzten Accorde der Operetten-Ouvertüre kletterten kichernd bis zur Gallerie hinauf. Sie schwangen sich auf bis zum barocken Stuck der Decke und schienen dort leise zu zerfließen. Für einen
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