Erzaehlungen aus dem Nachlass
Konfektioneuse in ihrem Kämmerchen im 5. Stockwerke. »Fünf Tage noch.« Es war ja schon Montag abend. Sogar spät am Abend. Betty aber nähte noch fleißig. Die Maschine knatterte und die kleine Öllampe schaute verdrossen drein und paffte von Zeit zu Zeit ihren Unmuth in die Luft. – Das Mädchen mit den eingefallenen Wangen aber kümmerte sich nicht darum. Ihre Gedanken waren weit weg. – Seit drei Monaten war sie jetzt in der Hauptstadt, freilich viel wusste sie nicht davon. Ihr Weg ging früh ins Geschäft durch die kleinen eckigen Seitengassen und abends wieder nachhause fünf Treppen hoch in ihr graues, winziges Stübchen. Aber sie verdiente hier viel mehr, als in der Provinz. Und unwillkürlich warf sie einen Blick auf die wohlverschlossene Lade der alten schiefen Commode, in welcher ihre kargen Ersparnisse lagen. – Dann nähte sie weiter. Und es kam ihr in den Sinn, dass sie sehr, sehr fleißig sein müsse; – wenn diese Groschen sich mehren und zu einem Sümmchen heranwachsen, dann würde sie ihrem Karl sagen: »So, jetzt, jetzt können wir heiraten.« Und die helle Freude schoss ihr in die Wangen – beim bloßen Gedanken daran. Er wird sie doch sicher heirathen, ihr Karl? Sicher. Hat ers ihr denn nicht hundertmal versprochen, wenn er sie im Provinzstädtchen früh zur Arbeit begleitete? Ja, ganz gewiss. Nun und jetzt, war er ja gar auch in die Hauptstadt gekommen – ihretwegen natürlich. Gestern Sonntag waren sie beisammen und über eine Woche … und die kleine begann wieder an den Fingern die Tage bisdahin zu zählen – – – da stand ihr eine große Freude bevor. – Karl wollte sie ins Theater führen. – Ins wirkliche, prächtige Theater. Karl war schon oft drinnen gewesen, früher schon; denn er besaß einen reichen Oheim in der Hauptstadt, der ihn von Zeit zu Zeit eingeladen und dahin u. dorthin mitgenommen hatte. – Betty aber hatte dergleichen noch niemals gesehen. In der kleinen Provinzstadt hatte wohl einmal eine fahrende Truppe ihre Bühne aufgeschlagen; aber das war im rauchigen dumpfigen Wirtshaussaal, und das hatte ihr gar nicht gefallen. – Hier aber … Wie gut doch Carl ist, der ihr solch ein Vergnügen zu machen weiß. Das musste ja wohl ein halbes Vermögen kosten dort eintreten zu dürfen!
Paff! Der Lampe war es endlich doch zu arg geworden. Der letzte Tropfen Öl war versiegt, sie flackerte zuerst auf und – verlöschte.
Betty saß im Dunkel. Die Maschine verstummte; Eine Weile blieb das Mädchen still. Dann begann sie sich rasch zu entkleiden und in wenigen Augenblicken schlüpfte sie unter das große rothgestreifte Deckbett. Sie schloss die Augen und athmete tief auf: … Dienstag, Mittwoch Donnerstag … sie schlief. – Träume schlichen hinauf in das einsame graue Stübchen. Sie führten die kleine, müde Betty weg in ein hohes, stattliches Haus mit Säulen von lauterem hellem Gold und einem Dach aus eitel Silber … aber wenn sie näher zuschaute, waren es doch eigentlich keine Säulen – da waren es ungeheuere Garnspulen auf denen ein riesiger Fingerhut lastete … und sie lachte hell auf im Traume. Das war doch zu drollig!
*
Mit lauter Zählen, Hoffen und Erwarten kam der Sonntag heran. – Mit einem Freudenschrei hatte die kleine Konfectioneuse den grauen Herbstmorgen begrüßt. – Ein leichter Regen rieselte draußen und die grauen Dächer gegenüber glänzten. Der Rauch aus den Kaminen verflatterte unstät und farblos in der nebelschweren, dicken Luft. – Was kümmerte sie das – heute. – Im Geschäfte machte sie Alles verkehrt, sie, die sonst die Genauigkeit selbst war. Sie zog sich sogar eine kleine Rüge ihres Chefs zu. Aber sie lachte in einem fort. Alles kam ihr so unbegreiflich fröhlich vor. Wie sie im Verkaufsräume fast nur auf die großen Spiegelscheiben der Auslagsfenster blickte, bemerkte sie wie darauf die blanken Regentropfen niederliefen sich begegneten und trennten, sich zusammenfanden oder wieder in neue Geleise auseinanderkollerten, und das kam ihr so unsäglich spassig vor, dass sie eine halbe Stunde lachte bis ihr die hellen Thränen über die Wangen flössen. – Mittag. – Ihr Essen hatte sie achtlos hinuntergestürzt. – Rasch eilte sie heim. So schnell war sie die fünf Treppen noch nie hinaufgeklettert. Oben musste sie auch eine Secunde halten. Ihr Athem flog und auf den Wangen glüthen rothe Flecke. – Aber sie gönnte sich nicht Ruh. In ihrem Zimmerchen begann sie hin und wieder zu laufen. Laden und Kastenthüre
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