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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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noch die Kommandos der Jegorowna und die innere Melodie, nach der sie ihre Sprünge und Drehungen richtete. Ihre Lungen blähten sich, das Herz hämmerte. Aber das war nur einen Augenblick lang so. Ihr Körper, an diese Strapazen gewöhnt, jahrelang darauf trainiert, keine Schwächen zu kennen, solange man ihm befahl zu tanzen, beruhigte sich nach diesen Exerzitien rasch, nur die Lippen zuckten noch leicht.
    »Das war alles recht gut!« sagte Tamara Jegorowna. »Es wird den Zarewitsch erfreuen. Nur die capriole ist noch etwas flach. Waagerecht müssen die Beine in der Luft schweben, waagerecht, Matilda! Geh, wasch dich jetzt und zieh dich um. In zwanzig Minuten kommt der Zarewitsch. Du kannst dich noch etwas ausruhen …«
    »Ich werde noch die capriole üben, Mama«, antwortete Matilda. »Ich weiß, daß sie noch nicht vollkommen ist. Aber ich schaffe sie noch …«
    Sie knickste wieder, drehte sich um und lief aus dem Saal.
    Die Jegorowna blickte ihr stumm nach. Sie schafft es, dachte sie, wenn nicht sie, wer dann sonst? Sie ist die größte Begabung, die in den letzten zwanzig Jahren auf diesem Parkett probiert hat. Einmal wird die ganze Welt von ihr sprechen … Ihr Name wird gleichbedeutend sein mit dem Begriff ›Schönheit des Tanzes‹.
    Matilda Felixowna Bondarew … Es wird bald kein Land der Erde mehr geben, wo man diesen Namen nicht kennt. Noch ahnt sie es nicht, noch muß sie exerzieren wie ein Strafsoldat; aber sie wird eine Ahnung von dem, was sie einmal erwartet, bekommen, wenn sie zu Weihnachten zum erstenmal das Solo in der Königlichen Oper tanzt. Aber das wird sie nicht übermütig oder gar hochmütig machen. Es wird nur ihren Ehrgeiz reizen, es wird sie zu jenen Höhen tragen, für die sie geboren ist. Matilda wird immer bescheiden bleiben, immer in Demut vor ihrem Können – denn ihr ganzes Leben ist Tanz! Sie ist eine Besessene – sie weiß es nur noch nicht.
    Tamara Jegorowna wandte sich dem Corps zu und unterbrach das Klavierspiel des mürrischen Pianisten.
    »Schluß! Macht euch frisch, Kinder! Gleich kommt der Zarewitsch. Und keine Angst – er kann nicht so gut wie ihr tanzen …«
    Wie ein Schwarm girrender Tauben flatterten die Elevinnen aus dem Saal. Durch eine andere Tür schritt würdevoll, in einem frackähnlichen Anzug, der Pianist Pierre Lacombe.
    »Madame«, sagte er artig und verschwendete keinen Blick auf den kleinen Mann, der den Flügel räumte und seine Noten zusammensuchte. »Sie haben mich gerufen. Es ist mir eine Ehre, aufspielen zu dürfen. Seine Kaiserliche Hoheit schätzen mich. Ich habe schon vor ihm gespielt mit italienischen Capricen – heute soll es Coppelia sein?«
    »Setzen Sie sich und üben Sie!« antwortete die Jegorowna hart. »Es wäre mir peinlich, wenn Sie die einzige schwache Stelle in unserer Vorführung wären!«
    Lacombe zuckte wie getreten zusammen, aber er enthielt sich jeder Gegenrede. Es war sinnlos, gegen die Jegorowna anzugehen. Man hatte keine Chance. Er neigte nur stumm den Kopf, als sie an ihm vorbeischritt und hinter sich die Tür zuknallen ließ.
    Die Ankunft des Großfürsten Nikolai Alexandrowitsch meldete einer der Lakaien. Pünktlich um drei Uhr hielt vor dem Gebäude der Ballettschule die mit goldenen Schnitzereien und dem Zarenwappen verzierte Kalesche. Zwölf Gardereiter umringten sie, die Kutschlakaien rissen den Schlag auf, und als erster stieg ein Wesen aus, das man nur mit Schaudern betrachten konnte.
    Auf einem schmächtigen winzigen Körper, der von spinnenartigen Beinchen getragen wurde, balancierte ein riesiger Kopf. Der Mund war breit, die Nase lang und fleischig – allein die Augen hatten etwas Menschliches. Die Blicke taxierten die Umwelt ab.
    Dieses aus der Form geratene Lebewesen trug eine Art orientalischer Uniform, ein Phantasiekostüm mit vielen kleinen Glocken an goldenen Litzen, die bei jedem Schritt ein harmonisches Klingeln ertönen ließen. Auf dem gewaltigen Kopf trug das Wesen einen roten Turban, in dem man über der Stirn einen runden Spiegel angebracht hatte.
    Wer den abscheulichen Zwerg ansah, blickte gleichzeitig sein eigenes Bild an und wurde so daran gemahnt, daß der Mensch die merkwürdigsten Formen annehmen konnte.
    Tamara Jegorowna, die am Portal wartete, neben sich den obersten Verwalter der Ballettschule und einige Beamte aus der Administration, zog hörbar die Luft durch die geblähten Nasenflügel.
    »Mein Gott, das ist doch nicht der Zarewitsch!« flüsterte neben ihr der Verwalter mit heiserer

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