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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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das Ewige Rom, das verschwenderische Dresden, das reiche Amsterdam, das stolze Madrid, Lissabon, das Tor zu den Weltmeeren … Für einen russischen Tänzer gab es damals keine Grenzen …
    »Der Zarewitsch?« fragte die Jegorowna jetzt. Sie saß in ihrem Arbeitszimmer auf einem französischen Ruhebett und sah den Kurier des Hofes erstaunt an. »Ich denke, er beschäftigt sich mit dem Bau der Sibirischen Eisenbahn?«
    »Wer weiß, womit sich die Kaiserlichen Hoheiten beschäftigen?« Der Kurier verneigte sich vor Tamara Jegorowna, denn sie war eine Frau, der Ehrerbietung zustand, auch wenn sie aus niederem Stande stammte, wie man sich erzählte. Ihr Vater soll in Nowgorod eine kleine Malzmühle betrieben haben.
    »Was werden Sie tun, Tamara Jegorowna?«
    »Nichts!«
    Das war eine knappe, klare Antwort. Der Kurier sah die Ballettmeisterin betroffen an. Das paßt zu ihr, dachte er. Wer vor dem Teufel keine Angst hat, den schreckt auch der Zarewitsch nicht.
    »Das ist wenig …«, sagte er unsicher.
    »Der Unterricht wird weitergehen wie gewohnt.« Die Jegorowna erhob sich und trat an ihren Schreibtisch. Sie blätterte in Papieren und überflog kurz den Lehrplan der einzelnen Corps. »Ich wüßte nicht, warum ich etwas ändern sollte. Wann kommt Seine Kaiserliche Hoheit?«
    »Um drei Uhr am Nachmittag. Also in vier Stunden. Zeit genug, um noch einiges zu ordnen, zu ändern.«
    »Der Zarewitsch kommt ja wohl, um einen Ballettbetrieb zu sehen, keine Ausstellung knicksender Mädchen und strammstehender Jünglinge! Um drei Uhr sind alle Klassen beschäftigt – von der Gymnastik der Kleinen bis zur Tschaikowskyprobe der Elevinnen. Der Zarewitsch wird zufrieden sein.« Sie drehte sich mit einer Grazie zu dem Kurier, mit der sie früher im Pas de deux sich ihrem Partner zuwandte.
    »Sie haben Angst, nicht wahr? Warum eigentlich? Warum haben alle Angst vor dem hohen Herren? Es sind doch auch nur Menschen …«
    »Aber mit ganz besonderen Tücken!« sagte der Kurier. »Sie leben in einer anderen Welt, Tamara Jegorowna, und man läßt Sie in dieser Welt in Ruhe. Sie gehören zu den Glücklichen dieser Erde … Aber das Leben ist nicht nur Tanz!«
    Er winkte ab, nahm seinen federgeschmückten Hut und versuchte ein trauriges Lächeln.
    »Vergessen wir diese Worte, ja? Wissen Sie, daß Fürst Sassanow gestern auf der Sadowaja einen Bauern fast totgepeitscht hat, weil er mit seinem Husten das Pferd des Fürsten erschreckte? Ein kranker Mann war es, kam gerade vom Arzt, hustete sich seine Lunge aus … Jetzt liegt er im Spital, mit aufgeplatzter Haut, weil er das Pferd des Fürsten angehustet hat!« Der Kurier setzte seinen Hut auf und ging zur Tür. »Das ist nur ein kleiner Tropfen im Meer des täglichen Leids, Tamara Jegorowna.«
    »Woher wissen Sie das?« fragte sie mit veränderter, gespannter Stimme.
    »Ich stand in der Nähe.« Der Kurier drückte die Türklinke herunter. »Beide hatten sie Schaum vor dem Mund, als sie an mir vorbeiritten, das Pferd und der Fürst. Und ich machte es wie alle anderen: Ich zog den Hut und verneigte mich tief. Der Zarewitsch ist nicht so. Nikolai Alexandrowitsch gilt als ein friedlicher Mensch …«
    Bis nach dem Mittagessen wartete Tamara Jegorowna mit der großen Nachricht. Aber auch dann sagte sie nur leichthin, von Klasse zu Klasse gehend: »Um drei Uhr bekommen wir Besuch. Der Zarewitsch. Kein Grund zur Aufregung, Kinder! Er wird sich über euch freuen.«
    Zu dem Corps der Elevinnen sagte sie: »Ihr werdet dem Zarewitsch Delibes vortanzen, Coppelia! Das haben wir oft genug studiert. Macht euch bereit. Alle erscheinen im Tutu. Wir tanzen vorher noch das zweite Bild. Im großen Saal …«
    Die Mädchen nickten. Ihre Augen bekamen einen Anflug von Angst; der Zarewitsch kommt! Wieso der Zarewitsch? Man kannte ihn kaum in St. Petersburg, er zeigte sich dem Volk fast nie, selbst am Hof war er nur selten zu sehen. Ein scheuer junger Mann sollte er sein, der lieber draußen in Zarskoje Selo wohnte, im Alexanderpalast, umgeben von weiten Gärten und Seen, wo er viel las und sich um das größte Projekt der Welt, die Sibirische Eisenbahn, kümmerte.
    Und plötzlich kommt er nach Petersburg und inspiziert das Kaiserliche Ballett? Was hat das zu bedeuten? Will er sich jetzt um die russische Kunst kümmern – aus purer Langeweile?
    Tamara Jegorowna spürte die stummen Fragen. »Es wird ein einmaliger Besuch sein«, sagte sie beruhigend. »Eine Laune, was sonst? Tanzt wie immer, meine Kinder! Ihr tanzt

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