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Es blieb nur ein rotes Segel

Es blieb nur ein rotes Segel

Titel: Es blieb nur ein rotes Segel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ihn fiel, begriff er noch viel weniger: Zar Nikolaus II.
    Im Morgengrauen des 1. März 1917 verließ Matilda Felixowna in einer unauffälligen Kalesche St. Petersburg. Ein alter Leibkutscher des Zaren lenkte die Pferde. Mustin, der Zwerg, hatte sich im Palais verkrochen, um dem Abschied aus dem Weg zu gehen … eine halbe Stunde lang ließ Matilda ihn suchen, dann mußte sie fahren. Erst, als die Kalesche aus dem Innenhof gefahren war, kroch Mustin aus einer Kellerecke hervor und blickte ihr hinter der Gardine des Salons nach. Er schlug in der Luft ein Kreuz und sagte: »Gott, laß sie nicht aus Deinen Augen!«
    Die Fahrt ging bis zur finnischen Grenze. Dort blieb sie in einem kleinen Ort und las in den nächsten Tagen von der Abdankung des Zaren.
    Noch am 28. Februar war Nikolaus II. mit seinem Sonderzug vom Hauptquartier Mogilew nach Zarskoje Selo gefahren, aber er kam nie an.
    Die Strecke war bei der Station Ljuban von zwei Kompanien meuternder Soldaten besetzt. Mit Kanonen und Maschinengewehren hielten sie den Zarenzug auf. Es wäre vielleicht eine rettende Rückkehr gewesen …
    Man fuhr noch weiter bis zu dem kleinen Bahnhof Dno, was auf russisch ›Abgrund‹ heißt – wahrlich ein Symbol! –, dort bog man ab und fuhr weiter nach Pskow am Peipussee. Hier war die Endstation.
    Die Endstation des Zaren, der Monarchie, des russischen Reiches.
    Der Weg nach St. Petersburg war abgeschnitten, der letzte absolute Monarch Europas mußte sich dem Willen eines ›Soldatenrates‹ beugen. Das Volk, aufgebrochen aus den Armenvierteln der Städte, um eine neue Zeit zu schaffen, beherrschte Rußlands Schicksal.
    Als am 2. März eine Delegation der Duma erschien und die Abdankungsurkunde unterbreitete, traf sie auf einen ruhigen, völlig gefaßten Zaren. Er betrat seinen Salonwagen freundlich wie immer, wortkarg und hoch aufgerichtet. Er setzte sich an den Tisch, las die Abdankungsurkunde und unterschrieb sie mit einem einfachen schwarzen Holzfederhalter, den ihm der Dumaabgeordnete Gutschkow reichte.
    Es gab keinen Zaren mehr.
    Am Abend sagte er, voller Ahnungen, zu dem greisen General Russkij, dem Oberbefehlshaber der Nordfront, nach einem wortkargen Essen im Salonwagen:
    »Jetzt müssen wir uns der Gnade der Sieger überlassen.«
    Die Sieger, – das waren die Arbeiter und Bauern, die Soldaten und Werktätigen, die nun die Straßen überfluteten, die zaristische Polizisten wie Hasen jagten, die Paläste plünderten, die Adelige und Reiche, die noch nicht Hals über Kopf geflohen waren, in Gefängnisse sperrten und die als neues Regime zunächst den ›Sowjet der Arbeiterdeputierten‹ gründeten.
    Das alte Rußland sank in Trümmer. Der Beginn des neuen ertrank noch im Chaos. Es war nichts mehr geblieben als ein Aufschrei: »Frieden! Freiheit! Brot!«
    Matilda Felixowna fuhr von Finnland weiter nach Schweden. In Stockholm wartete sie in einer kleinen Wohnung auf das Ende der Revolution. Trotz aller verlockenden Angebote tanzte sie nicht … Sie verfolgte aus der Ferne das Schicksal des Zaren.
    »Später«, sagte sie zu dem Intendanten der Hofoper von Stockholm. »Wie kann ich tanzen, wenn mein Rußland verblutet? Lassen Sie mir Zeit.«
    In der Nacht vom 16. zum 17. Juli 1918 wurden der Zar, die Zarin, seine vier Töchter, der Zarewitsch, der Leibarzt Dr. Botkin, drei Diener und ein Hündchen im Keller der Villa Ipatjew in Jekaterinburg erschossen.
    Ein Kommando Bolschewisten unter Führung des Kommissars Jurowskij feuerte so lange in das Menschenknäuel an der Kellerwand, bis sich nichts mehr rührte. Dann brachte man die Leichen weg, zu dem stillgelegten Bergwerk ›Die vier Brüder‹, zerstückelte sie, übergoß sie mit Schwefelsäure und verbrannte die Reste auf einem Scheiterhaufen.
    Nichts, gar nichts sollte von den Romanows übrigbleiben; Jurowskij wollte die totale Auslöschung. Es war auch der Triumph einer persönlichen Rache: Er, der Lazarettgehilfe, war in einem sibirischen Gefängnis von einer Mutter geboren worden, die auch in der Verbannung elendiglich starb.
    Matilda Felixowna schloß sich drei Tage lang ein, als der Mord an der Zarenfamilie bekannt wurde.
    Am fünften Tag tanzte sie die Giselle in der Stockholmer Oper, und Chamitja Maximowitsch telegraphierte aus Paris:
    »Komm zu mir! Paris erwartet Dich! Wer hatte recht? Du lebst, und die Welt wird Dir zu Füßen liegen! Sei nun für eine neue Zeit aufgeschlossen …«
    Vergeblich ließ Matilda in Petrograd, wie St. Petersburg jetzt hieß, nach dem

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