Es duftet nach Liebe (German Edition)
unverschämt.
Ich sehe mich um. Da ist das Meer, der Himmel, der Strand, sonst nichts. Nur er und ich und natürlich Kumpel Blume. Einer spontanen Neigung nachgebend halte ich ihm meine Knabberschale hin und frage kurzangebunden: „Olive?“ Immerhin ist er ja wirklich so etwas wie mein Nachbar, und Angriff ist immer die beste Verteidigung, wenn man sich gerade blamiert hat.
Er starrt gierig auf das Angebot, seine Augen werden riesengroß, dann greift er hastig zu und stopft sich eine ganze Handvoll auf einmal in den Mund. Erst bin ich ziemlich entsetzt über einen solchen Mangel an Tischsitten, dann schiebe ich es auf den Hippie-Blödsinn, schließlich begreife ich es wirklich. „Hast du Hunger?“, frage ich ihn.
Er senkt den Kopf. Er schämt sich, erkenne ich. Ich bin fasziniert. Hungernde Menschen sind etwas, für die ich bisher nur gespendet habe, wenn alle hingeguckt haben. Begegnet bin ich noch nie einem. Er sieht nicht aus wie kurz vorm Exitus. Bei Sonnenlicht betrachtet ist er allerdings schon recht mager.
„Ich hab‘ schon genug“, nuschelt er.
Ich setze mich auf und komme in den Schneidersitz. „Und ich habe mehr als genug“, sage ich. „Darf ich dir etwas anbieten?“ Das „Sie“ schenke ich mir nach dem Auftritt von gestern Abend. Es ist bei einem Hippie wahrscheinlich sowieso nicht angebracht, so will es die mir nicht recht geläufige Underdog-Etikette.
Er sieht mich unsicher an. „Wenn du es nicht mehr magst?“, fragt er vorsichtig.
„Nein!“, erwidere ich. „Ich mag es. Ich habe nur mehr davon, als ich brauche. Nimm dir!“
Er nickt und tritt zögernd einen Schritt vor. Ich halte ihm die Schale hin, als würde ich ein schüchternes Eichhörnchen füttern wollen. Er erinnert mich irgendwie daran. Gestern war er in seinem zugedröhnten Zustand so keck, jetzt wirkt er verängstigt und verloren. Früher hätte ich das ausgeblendet. Auch heute halte ich es meistens so. Jetzt gerade nicht, vielleicht weil ich im Urlaub bin. Vielleicht auch, weil die Orchidee neben mir schon wieder so bestätigend vor sich hin mufft. Ist sie vielleicht eine Zauberblume? Klar doch, das ist viel wahrscheinlicher als der Umstand, dass ich einfach durchgeknallt bin und Sachen in sie rein projiziere.
Er verzieht das Gesicht, während er isst. Ich fühle mich plötzlich arg schäbig, ihn so zu demütigen, indem ich ihn wie einem Tier Häppchen hinhalte. „Gleich gibt es ein echtes Frühstück“, sage ich. „Möchtest du mir dabei Gesellschaft leisten? Ich würde mich freuen.“
„Echt?“, schmatzt er misstrauisch.
„Ja!“, rede ich auf ihn ein, ohne recht zu wissen, was mich dabei reitet. „Ich bin ganz alleine hier. Würdest du mein Gast sein?“
Er sieht mich lange an. Seine Augen sind wirklich strahlend blau. Er ist groß, ich muss nicht zu ihm hinab gucken. Nichts an ihm erinnert mich an Cedric, an die Vergangenheit. Durch diese Brille sehe ich alles. Ich denke ständig daran, will aber nicht erinnert werden. Der Erfolg ist leidlich, gerade eben sehe ich jedoch nur diesen ausgehungerten, jungen Möchtegern-Aussteiger vor mir.
„Okay“, sagt er. „Wenn du willst? Aber diese Frau mag mich nicht! Sie wollte mich fortjagen!“ Er sieht hinüber zu Mira, die gerade die Terrasse betritt und empört schnaubt.
„Mira!“, spreche ich sie versöhnlich an. „Das ist unser Gast. Er heißt …“ Ich stocke. „Sonnenblume“ ist vermutlich nicht sein wirklicher Name.
„Otto“, gesteht er und senkt geniert den Kopf. Ich verkneife mir ein Auflachen. Dieser Name passt wirklich überhaupt nicht zu ihm.
„Willkommen, Otto“, erwidert sie nonchalant. Vermutlich ist sie von den anderen Mitgliedern meines Clans auch einiges gewohnt. Ich nötige Otto, mir gegenüber am Frühstückstisch auf der Terrasse Platz zu nehmen. Er windet sich unwohl hin und her, während Mira aufträgt. Seine Finger krallen sich in die Lehnen, wie um sie daran zu hindern, sofort über alles herzufallen. Der Kaffee duftet verführerisch, es gibt Eier, Brötchen, Aufschnitt vom Feinsten. Für mich ist das normal. Für Otto ist es Essen. Einmal losgelassen kann er sich kaum stoppen, er stopft alles in sich hinein. Himmel, er muss wirklich schrecklich hungrig gewesen sein! Er sieht mich schuldbewusst an, während er geräuschvoll kaut.
„Schon okay“, sage ich. „Iss!“ Es ist seltsam, ich bin nun wirklich nicht übertrieben mildtätig, dennoch will ich gerade, dass er satt wird, ohne sich seines Zustandes so zu schämen.
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