Es duftet nach Liebe (German Edition)
Im Licht des Morgens ist zu erkennen, wie verwahrlost er ist. Sein Haar reicht ihm bis zum Nacken und ist verfilzt, seine Fingernägel sind ausgefranst und dreckig. Stinken tut er nicht, das Meer ist ja da, um zu baden. Während er hastig schaufelt, studiere ich ihn. Er hat ein schönes Gesicht, finde ich. Die Lachfältchen stehen ihm, die Nase ist stolz und gerade, die blonden Brauen dicht, der Mund voll und breit, das Kinn im richtigen Maße kantig. Anständig aufgemacht wäre er sehr attraktiv. Stattdessen trägt er ein verwaschenes, dunkelblaues T-Shirt und eine über den Knien abgeschnittene, zerschlissene Jeans. Er ist barfuß, hat lediglich ein vermutlich selbstgemachtes Muschelkettchen um die rechte Fessel. Das ist albern, in Hinblick auf die Mühsal, die dahinterstecken muss, jedoch irgendwie rührend. Meine Uhr hat vermutlich mehr gekostet, als er in zwanzig Jahren verbraucht.
Er unterdrückt ein Rülpsen und sagt schließlich, bis zum Anschlag vollgefressen: „Danke!“ Das meint er auch so. Alle sagen das ständig zu mir, da ist es nur eine Floskel.
„Gerne“, erwidere ich und lehne mich mit der Kaffeetasse in den Fingern in meinem Sessel zurück. Ausnahmsweise meine ich das auch Mal so. Ich habe gerade das Gefühl, wirklich mal etwas Sinnvolles getan zu haben. Verrückt, nicht wahr, dafür bezahlt man mich schließlich nicht?
„Sag mal, Otto“, wende ich mich an ihn, während er die Finger nicht von den Cocktailtomaten lassen kann, „wo kommst du eigentlich her?“
„Deutschland“, erwidert er mit vollem Munde. „Göttingen, falls dir das was sagt.“
„So ungefähr“, muss ich zugeben. Vor Urzeiten habe ich das im Geographie-Unterricht gelernt. Ich verbinde nichts mit diesem Ort. „Mochtest du es da nicht mehr?“
Er sieht mich stumm an, dann sagt er: „Nein. Zu viele schlimme Erinnerungen. Ich musste weg. Etwas Besseres finden!“
„Hast du es gefunden?“, frage ich ihn ernsthaft neugierig.
Er zögert kurz. „Ja“, sagt er schließlich, „alles ist besser als das. Frieden! Liebe! Freiheit!“ Da kommt wohl der Hippie in ihm durch. Die Zeit der Hippies ist längst vorüber. So wie er es sagt, hört es sich eher trotzig an. Er haust hier mutterseelenallein am Strand. „Warum bist du hier?“, will er von mir wissen.
Ich zögere nicht eine Sekunde. „Mein Ex-Freund hat einen anderen geheiratet. Ich brauche Abstand“, erkläre ich, über mich selbst überrascht.
„Liebst du ihn immer noch?“, will er von mir wissen.
Ich atme tief durch. „Nein“, sage ich wahrheitsgemäß. „Ich vermisse lediglich die Vergangenheit, verfluche mich ob der verpassten Chancen, der eigenen Blödheit, und ich muss mit der Schuld klarkommen.“
„Was für eine Schuld?“, fragt er mich aufmerksam.
Ich weiß nicht, was in mich fährt. Er ist ein vollkommen Fremder. Vor ihm hat allerdings noch nie jemand nachgefragt. Alle haben betreten geschwiegen oder mir abgedroschene Phrasen um die Ohren gehauen. Ich will es aber sagen, laut und deutlich! Und dazu brauche ich nicht mal vorher einen Smalltalk mit der Orchidee. „Mein Ex-Freund und ich haben es ziemlich toll getrieben. Wir waren die Könige der Pariser Szene. Wer uns nicht gepasst hat, wurde fertiggemacht. Wir haben uns in unserer Macht gesuhlt. Dann haben ein paar Typen, die wir niedergemacht haben, meinem Freund aufgelauert und haben sich gerächt. Sie haben ihn missbraucht und geschlagen, bis er fast tot war und ihn dann wortwörtlich in den Müll geworfen. Er hat es knapp überlebt. Er wollte danach nichts mehr mit mir zu schaffen haben. Ich hätte viel früher die Reißleine ziehen müssen, denn ich habe ihn wirklich geliebt, oder hätte zumindest bei ihm sein sollen. Jetzt hat er sich gefangen und einen anderen geheiratet“, fasse ich zusammen.
Er zuckt nicht zusammen. „Mein Freund ist tot“, erwidert er tonlos, während er eine Tomate zwischen den Fingern dreht. „Er war arabischer Abstammung und seine verbohrte Sippe hat ihn lieber kaltgemacht, als diese „Unehre“ zu ertragen, dass er Männer liebte. Nicht alle sind so, gewiss, die leider schon. Sie sitzen im Kittchen, das macht ihn aber auch nicht wieder lebendig. Wenn ich ihn nicht so gedankenlos für alle sichtbar an der Bushaltestelle geküsst hätte, wäre er noch am Leben!“
Ich rühre in meinem Kaffee. „Die Intoleranz und Brutalität anderer ist nicht deine Schuld“, behaupte ich.
„Du hast deinem Ex-Freund das auch nicht angetan. Fühlst du dich deswegen
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