Es geht auch anders
Ferkel in den Fluss werfen muss: Wenn die Piranhas es nicht fressen, gibt es keine. Dem will er sich nicht ausliefern. In dem Heft steht auch etwas über Meeresgöttinnen. Aber es hat keinen Zweck: Gert sagt ab. So fährt Rohloff mit, der Pianist der Pfisters.
Das rosafarbene Opernhaus in Manaus ist ständig umstellt von knutschenden Liebespaaren. Im Park davor: unter jedem Baum eine Bank, auf jeder Bank ein Liebespaar – wie in einem Gene-Kelly-Film. Achtzig Prozent der Bewohner leben in Holzhütten, und so rendezvieren alle an der Oper. Der Platz vor dem Opernhaus ist ein Gemisch aus Stein und Kautschuk, damit man die verspäteten Kutschen nicht hörte. In diesem rosa Eros-Käfig singe ich, als gelber Kanarienvogel verkleidet. Das Dach ist aus buntem Glas, und wenn nachts das Licht durchfällt, leuchtet es wie eine türkische Lampe. Im Opernhaus riecht es feucht und stickig nach Weihrauch und Holz – ein bisschen wie im Urwald. Auf dem Vorhang fließen der Amazonas und der Rio Negro ineinander. Die Theaterglocke klingt wie eine Glocke für die Verwandlung beim Abendmahl. Ein Indianer mit einer Truckerkappe, der Freunde von mir durch den Urwald geführt hat, übersetzt für mich. Er steht an der Seite der Bühne, für das Publikum sichtbar, beobachtet und übersetzt. Er riecht ein bisschen nach Amazonas. Beim Singen fliegt man über alles, was man gesehen hat: die Wälder und die Flüsse, Krokodile, Hausboote, schwimmende Wiesen. Die Indianer sagen: »Das Theater ruht auf dem Kopf einer Schlange.»
Der gesamte Hinterbau des Hauses ist menschenleer. Am Eingang sitzen ein paar Pförtner. Die Schließerin bringt mich nach oben. Leere Gänge, Zimmer, Treppen. Die anderen warten auf der Hinterbühne auf mich. Ich sitze alleine in einer Garderobe unterm Dach und schminke mich. Die Schließerin fragt mich, ob sie den Fernseher anmachen darf, und sieht begeistert fern. Sie passt auf, dass ich nicht wegfliege.
Da denkst du, du bist endlich seriös, singst in der Oper von Manaus, und dann ist das eine Eros-Oper und du triffst den Veranstalter – der Welt bester Geiger, der Welt bestes Genie, der Welt bester Bester – beim Frühstück im Hotel. Er liegt fast auf dem Stuhl, eine Hand, in der eine Zigarette klemmt, hängt schlaff herab, er sieht bleich und aufgedunsen aus. Angewidert lässt er Wortfetzen aus seinem Mund nuscheln: »Bah, Cora, schon Whiskey getrunken! Bah, die Brasis gehen mir so auf den Sack, echt, die Wichser, und die blöde Zeitungsfotze! Und die Operndirektorin ist die Oberfotze, bah!« Der brasilianische Kulturattaché hat das Gerücht in die Welt gesetzt, der Veranstalter habe in der Oper Pornofilme gedreht und Orgien gefeiert. So etwas könne er nicht unterstützen. Das ist eines der schönsten Gerüchte, die ich je gehört habe.
Wir fahren mit Freunden in einem Boot in den Urwald. Ein Freund sagt zu seinem Freund: »Pass auf, Schatz, gleich liegst du im Wasser.« Am Ufer steht ein Mädchen mit einem gelben Schirm. Es regnet. Schwimmende Häuser. Mädchen basteln Puppen aus Nüssen, junge Hunde laufen herum. Wir essen. Unter dem Hochzeitsbild ein Leopardenfell. Ein Ventilator, ein Fernseher, ein Spitzenvorhang. Eine Schlangenhaut an der Wand, ein Fußball, eine Hängematte. Hühner. Schwimmende Wiesen treiben vorbei, durch die wir später mit dem Motorboot fahren. Raubvögel, Kraniche, Frösche, Schmetterlinge, gelbe und blaue, kleine Sumpfvögel und tatsächlich Spinnen und Ameisen. Kolibris wie fliegende Buntstifte, Käfer aus Gold, Libellen mit roten Samtleibern. Ein Freund sagt: »Sie übertragen etwas.« Ich frage: »Was?« Er sagt: »Samthaut.« Viktoria-Seerosen. Ein Mädchen verliebt sich in den Mond und fällt ins Wasser. Sie wird zur Seerose. Es ist wohl grundsätzlich ungesund, eine Form zu haben, einen Körper. Warum soll man sonst so viel Wasser trinken? Wasser soll ja so gesund sein. Natürlich, wir kommen aus dem Wasser, waren Wasser und wurden nur durch unglückliche Umstände in eine unglückliche Form gepresst. Spuckst du ins Meer, bist du glücklich, denn da bist zu Hause. Wenn wir ins Wasser zurückgehen könnten, wäre ich eine der Ersten.
Wir übernachten auf einem Hausboot in Hängematten unter Moskitonetzen. Ein gelber Kanarienvogel sitzt auf dem Dach. Eine alte Frau mit längeren silbergrauen Haaren und silberlackierten Finger- und Fußnägeln lebt dort. Ein kleiner Hund läuft herum, er trägt eine bunte Perlenkette. Faultiere fühlen sich an wie verstaubte
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