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Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Titel: Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord Kostenlos Bücher Online Lesen
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sehr konzentriert. In Wirklichkeit wußte er sehr gut, wie Mathildes Gesicht aussah. Wahrscheinlich wenig verändert seit den Seminaren, in denen er es gesehen hatte. Aber er wollte es berühren.
     
    ***
     
    Am nächsten Morgen steuerte Adamsberg den Wagen in Richtung Montargis. Danglard saß neben ihm, Castreau und Deville hinten. Der Kastenwagen folgte. Adamsberg nagte beim Fahren an den Lippen. Von Zeit zu Zeit warf er Danglard einen Blick zu oder legte, wenn er geschaltet hatte, seine Hand einen Augenblick auf den Arm des Inspektors. Wie um sich zu vergewissern, daß Danglard lebendig und wirklich da war und es auch bleiben würde.
     
    Mathilde war früh aufgewacht und hatte nicht den Mut gehabt, an diesem Morgen jemanden zu verfolgen. Am Tag zuvor hatte sie sich durchaus ein ganzes Weilchen mit einem unverheirateten Paar in der Brasserie Barnkrug amüsiert. Sie kannten sich noch nicht lange. Aber als der Mann sich mitten im Essen entschuldigt hatte und aufgestanden war, um zu telefonieren, hatte die junge Frau ihm mit gerunzelter Stirn nachgesehen und dann einen Teil der Pommes frites vom Teller ihres Begleiters auf den eigenen geschoben. Befriedigt über ihre Beute, hatte sie sie verschlungen und bei jedem Bissen die Zunge herausgestreckt. Der Mann war zurückgekommen, und Mathilde hatte sich gesagt, daß sie etwas ganz Grundlegendes über die junge Frau wußte, was ihr Begleiter niemals erfahren würde. Ja, sie hatte sich gut amüsiert. Eine gute Phase.
    Aber an diesem Morgen lockte sie das gar nicht. Am Ende von Phase l mußte man sich nicht allzusehr darüber wundern. Sie dachte, daß Jean-Baptiste Adamsberg heute die Spitzmaus zu fassen kriegen würde, daß sie sich pfeifend wehren würde, daß das ein verdammter Tag für die alte Clémence werden würde, die mit ihren behandschuhten Händen ihre Dias so gut geordnet hatte, genau wie sie ihre Morde ordentlich geplant hatte. Mathilde fragte sich einen kurzen Augenblick, ob sie sich verantwortlich dafür fühlte. Wenn sie im Dodin Bouffant nicht aus Geltungssucht herumgeschrien hätte, daß sie den Mann mit den Kreisen aufspüren könne, wäre Clémence nicht gekommen, um bei ihr zu schmarotzen, und hätte keine Gelegenheit gehabt zu morden. Dann sagte sie sich, daß es gespenstisch war, einem alten Doktor aus dem Grund die Kehle durchzuschneiden, daß er einen Tag lang mit einem verlobt war und Bitterkeit und Groll dann den Rest besorgt hatten.
    Gespenstisch. Das hätte sie Adamsberg sagen sollen. Mathilde saß mit den Ellbogen auf ihren Aquariumstisch gestützt und sprach ihre Sätze ganz allein halblaut vor sich hin. »Adamsberg, dieser Mord ist gespenstisch.« Ein Mord aus Leidenschaft wird nicht fünfzig Jahre später kaltblütig vorbereitet, schon gar nicht mit einer so komplexen Kriegsmaschinerie wie der von Clémence. Wie hatte sich Adamsberg nur derart über die Beweggründe der Alten täuschen können? Man mußte doch blöd sein, um an derart gespenstische Beweggründe zu glauben. Das beunruhigte Mathilde, weil sie gerade Adamsberg für einen der sensibelsten Typen hielt, denen sie begegnet war. Aber es gab da wirklich etwas, was mit den Beweggründen von Clémence nicht stimmte. Diese Frau hatte kein Gesicht. Mathilde hatte sich eingeredet, daß sie nett sei, um zu versuchen, sie ein bißchen zu mögen, ihr zu helfen, aber alles hatte sie an der Spitzmaus gestört. Alles, das heißt nichts: kein Körper in der Hülle; kein Blick in ihrem Gesicht; kein Klang in ihrer Stimme. Überall nichts.
    Gestern abend hatte Charles ihr Gesicht abgetastet. Das war recht angenehm gewesen, diese langen Hände, die so sorgfältig über alle Konturen ihres Gesichts gestrichen waren, als ob sie in Blindenschrift gedruckt wären - das mußte sie zugeben. Sie hatte den Eindruck gehabt, daß er sie noch weiter hätte berühren wollen, aber sie hatte keine Geste in diese Richtung getan. Im Gegenteil, sie hatte Kaffee gemacht. Einen sehr guten Kaffee übrigens. Das ersetzt natürlich kein Streicheln. Aber in gewissem Sinn ersetzt ein Streicheln auch keinen sehr guten Kaffee. Mathilde war der Ansicht, daß dieser Vergleich unsinnig war, daß Streicheln und guter Kaffee nicht austauschbar waren.
    Gut, seufzte sie laut. Mit dem Finger folgte sie einem Lepadogaster bimaculatus, der unter der Glasplatte schwamm. Sie müßte die Fische füttern. Was sollte sie mit Charles und seinem Streicheln machen? Wäre es nicht an der Zeit, wieder zurück ins Meer zu verschwinden? Wo

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