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Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Titel: Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord Kostenlos Bücher Online Lesen
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sie doch eh keine Lust hatte, heute morgen irgend jemandem zu folgen. Was hatte sie in drei Monaten auf der Oberfläche der Erdkruste gesammelt? Einen Bullen, der sich besser hätte verkaufen sollen, einen Blinden, der boshaft wie ein Giftzwerg war und einen streichelte, einen Byzantinisten, der Kreise zeichnete, eine alte Mörderin. Im Grunde eine gute Ernte. Kein Anlaß, sich zu beschweren. Sie hätte das alles aufschreiben sollen. Das wäre amüsanter, als über die Brustflossen der Fische zu schreiben.
    »Ja, aber was?« sagte sie laut und stand abrupt auf. »Was schreiben? Warum schreiben?«
    Um vom Leben zu erzählen, antwortete sie sich.
    Quark! Über die Brustflossen gibt es wenigstens etwas zu erzählen, was niemand weiß. Aber ansonsten? Warum schreiben? Um zu bezaubern? Ist es das? Um Unbekannte zu bezaubern, so als ob die Bekannten nicht ausreichten? Um sich vorzustellen, daß man die Quintessenz der Welt auf ein paar Seiten zusammenfassen könne? Und was für eine Quintessenz? Welche Ergriffenheit der Welt? Was sagen? Nicht einmal die Geschichte der alten Spitzmaus war interessant zu erzählen. Schreiben heißt Scheitern.
    In düsterer Stimmung setzte sich Mathilde wieder. Sie dachte, daß sie wirr dachte. Die Brustflossen waren sehr gut.
    Aber manchmal war es verdrießlich, nur von Brustflossen zu reden, weil die einen noch gleichgültiger ließen als die alte Clémence.
    Mathilde richtete sich auf und strich mit beiden Händen ihr schwarzes Haar nach hinten. O. k., dachte sie, ich habe einen kleinen metaphysischen Anfall, das geht wieder vorbei. Quark, murmelte sie nochmals. Ich wäre nicht so traurig, wenn Camille heute abend nicht wegfahren würde. Wieder wegfahren würde. Wenn sie diesem fliegenden Polizisten nicht begegnet wäre, wäre sie nicht gezwungen, um die ganze Erde zu fliehen. Würde es sich lohnen, das aufzuschreiben?
    Nein.
    Vielleicht war es höchste Zeit, wieder in einen Meeresgraben abzutauchen. Vor allem aber war es verboten, sich zu fragen, warum.
    »Warum?« fragte sich Mathilde sofort.
    Um sich etwas Gutes zu tun. Um sich zu erfrischen. Das war's. Um sich zu erfrischen.
     
    ***
     
    Adamsberg fuhr schnell. Danglard verstand, daß sie in Richtung Montargis fuhren, aber mehr wußte er nicht. Und je weiter sie kamen, desto stärker spannte sich das Gesicht des Kommissars an. Die Kontraste seines Gesichts verstärkten sich so sehr, daß sie fast irreal wirkten. Adamsbergs Züge waren wie jene Lampen, deren Helligkeit man regeln kann. Wirklich bizarr. Danglard verstand nicht, warum Adamsberg in der ihm eigenen Art eine schwarze Krawatte über sein altes weißes Hemd gebunden hatte. Eine Begräbniskrawatte, die überhaupt nicht paßte. Danglard erkundigte sich danach.
    »Ja«, antwortete Adamsberg. »Ich habe diese Krawatte umgebunden. Hübsche Sitte, finde ich, nicht?«
    Das war alles. Außer manchmal die Hand, die sich einen Augenblick auf seinen Arm legte. Mehr als zwei Stunden nachdem sie Paris verlassen hatten, hielt Adamsberg auf einem Forstweg an. Hier war keine Sommerhitze mehr. Auf einem Schild las Danglard For ê t domaniale des Bertranges, und Adamsberg sagte: »Da sind wir«, während er die Handbremse anzog.
    Er stieg aus dem Auto, atmete tief ein, sah sich um und nickte. Er breitete eine Landkarte auf der Motorhaube aus und winkte Castreau, Delille und die sechs Männer aus dem Kastenwagen zu sich.
    »Wir gehen dort lang«, sagte er. »Erst diesen Weg, dann den hier und dann den. Dann die Wege des südlichen Teils. Wir müssen den gesamten Bereich um die Forsthütte absuchen.«
    Gleichzeitig machte er mit dem Finger eine kreisförmige Bewegung auf der Karte.
    »Kreise, immer Kreise«, murmelte er.
    Er knüllte die Karte zu einer unförmigen Kugel und streckte sie Castreau hin.
    »Lassen Sie die Hunde raus«, fügte er hinzu.
    Sechs angeleinte Schäferhunde stürzten mit großem Lärm aus dem Kastenwagen. Danglard, der die Tiere nicht sonderlich mochte, stellte sich ein wenig abseits, er verschränkte die Arme und hüllte sich fest in sein weites graues Jackett.
    »Das alles wegen der alten Clémence?« fragte er. »Und wie sollen die Hunde das schaffen? Sie hat uns nicht einmal ein Stückchen Kleidung zum Schnuppern dagelassen.«
    »Ich hab dabei, was wir brauchen«, sagte Adamsberg und zog ein kleines Paket aus dem Kastenwagen, das er den Hunden vor die Schnauze hielt.
    »Faules Fleisch«, sagte Delille und rümpfte die Nase.
    »Das riecht nach Tod«, sagte

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