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Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord

Titel: Es Geht Noch Ein Zug Von Der Gare Du Nord Kostenlos Bücher Online Lesen
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zu schaffen. Als ich das meiner Schwester erklärt habe, hat sie aufgeschrien. Allein der Gedanke an eine universelle Kleidung entsetzt sie.
    Ich würde gerne die universelle Kleidung finden, einfach um damit nichts mehr zu schaffen zu haben.
    Ich würde gerne das universelle Baumblatt finden, um damit nichts mehr zu schaffen zu haben.
    Im Grunde wäre es mir lieber gewesen, ich hätte neulich abend Camille auf der Straße nicht verpaßt. Ich hätte sie erwischt, sie wäre sehr erstaunt und vielleicht ergriffen gewesen. Vielleicht hätte ich ihr Gesicht erzittern, erblassen oder erröten sehen, ich weiß es nicht genau. Ich hätte meine Hände auf dies Gesicht gelegt, um das Zittern zu besänftigen, und das wäre ziemlich toll gewesen. Ich hätte sie an mich gedrückt, wir wären beide ein ganzes Weilchen auf der Straße stehen geblieben. Sagen wir eine Stunde. Aber vielleicht wäre sie überhaupt nicht ergriffen gewesen und hätte sich gar nicht an mich drücken lassen. Vielleicht hätte sie damit überhaupt nichts zu tun haben wollen. Ich weiß es nicht. Ich merke es nicht. Vielleicht hätte sie gesagt: ›Jean-Baptiste, das Taxi wartet auf mich.‹ Ich weiß es nicht. Und vielleicht war es gar nicht Camille. Und vielleicht ist es mir auch völlig egal. Ich weiß es nicht. Ich glaube nicht. Im Augenblick nerve ich Danglard, den Denker. Das ist offensichtlich. Ich mache es nicht willentlich. Nichts geschieht, nichts wird gesagt, und das macht ihn verrückt. Und dennoch ist das Wesentliche seit dem Verschwinden von Clémence geschehen. Aber ich habe es ihm nicht sagen können.«
     
    Adamsberg hob den Kopf, als er hörte, wie die Tür geöffnet wurde.
    Es war heiß. Danglard kam schweißgebadet aus der nördlichen Banlieue zurück. Eine Personenüberprüfung wegen Hehlerei. Es war ein Erfolg gewesen. Aber das befriedigte ihn nicht. Danglard brauchte größere Sachen, um durchzuhalten, und die mörderische Spitzmaus schien ihm eine brauchbare Herausforderung. Aber die Furcht, aufgeben zu müssen, wurde von Tag zu Tag immer quälender. Er wagte nicht einmal mehr, mit den Kleinen darüber zu reden. Er dachte gerade ernsthaft daran, sich einen Schluck Weißwein einzuschenken, als Adamsberg sein Büro betrat.
    »Ich suche eine Schere«, sagte Adamsberg.
    Danglard begann, in der Schublade von Florence zu kramen, und brachte ihm eine. Er bemerkte dabei, daß Florence neue Karamelbonbons gekauft hatte. Adamsberg kniff ein Auge zu, um einen schwarzen Faden durch ein Nadelöhr zu ziehen.
    »Was ist los?« fragte Danglard. »Näharbeit?«
    »Mein Saum geht auf.«
    Adamsberg setzte sich auf einen Stuhl, legte ein Bein über das andere und begann, seinen Hosensaum zu flicken. Danglard sah ihm dabei zu, außer sich, aber äußerlich ruhig. Es ist beruhigend, jemandem zuzusehen, wie er mit kleinen Stichen näht, als ob der Rest der Welt aufgehört hätte zu existieren.
    »Sie werden sehen, wie gut ich umsäumen kann, Danglard«, sagte Adamsberg. »Winzige Stiche. Man sieht fast nichts. Meine kleine Schwester hat mir das eines Tages beigebracht, als wir nicht wußten, was wir mit uns anstellen sollten, wie mein Vater sagte.«
    »Ich kann das nicht«, erwiderte Danglard. »Zum einen gelingen mir die Säume bei den Hosen der Kinder nicht gut. Zum anderen läßt mir die Mörderin keine Ruhe. Verdammte alte Mörderin. Sie wird mir entwischen, das ist jetzt sicher. Das macht mich verrückt. Wirklich, es macht mich verrückt.«
    Er erhob sich, um sich ein Bier aus dem Kühlschrank zu holen.
    »Nein«, sagte Adamsberg, den Kopf über seinen Saum gebeugt.
    »Was, nein?«
    »Nein, kein Bier.«
    Dann biß der Kommissar, der völlig vergessen hatte, daß die Schere von Florence neben ihm lag, den Faden mit den Zähnen ab.
    »Und die Schere?« fragte Danglard. »Verdammt, ich suche die Schere, damit Sie den Faden sauber abschneiden können, und was tun Sie? Und mein Bier? Was ist jetzt plötzlich mit dem Bier?«
    »Vielleicht trinken Sie zehn davon, und das geht heute nicht.«
    »Ich dachte, Sie würden sich da nicht einmischen. Es ist mein Körper, meine Verantwortung, mein Bauch, mein Bier.«
    »Einverstanden. Aber es ist Ihr Fall, und Sie sind mein Inspektor. Und morgen fahren wir aufs Land. Ein großes Wiedersehen, hoffe ich. Da brauche ich Sie, und zwar in klarem Zustand. Und mit einem intakten Magen. Sehr wichtig, der Magen. Es ist nicht sicher, ob ein guter Magen ausreicht, gut zu denken. Aber es ist sicher, daß ein verkorkster Magen

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