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Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Titel: Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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an.
    »Lasst Honig in eure Milch tropfen. Das ist gut gegen die Kälte.«
    »Es ist sehr kalt«, sagte Karl.
    Frau Waldhoff lächelte verschmitzt. »Nimm nur reichlich Honig, Junge. Der Topf kann leer werden.«
    Karl wurde rot. Er tröstete sich damit, dass er so weit von der Lampe entfernt saß, dass niemand es sehen konnte.
    Die Milch lief dick und süß über die Zunge.
    »Weißt du noch, letzten Sommer auf Schapendyk?«
    »Weißt du noch, als wir uns bei dem Gewitter in den hohlen Baum zwängten?«
    »Weißt du noch . . . – Weißt du noch?« Es war, als ob die Jungen die vielen Erlebnisse beschwören wollten, um die Zeit aufzuhalten. Doch die Uhr der Großen Kirche schlug alle Viertelstunden. Die Schläge mehrten sich bei jedem vollen Kreis des großen Zeigers.
    Frau Waldhoff ging zum letzten Male durch das dunkle Haus. Jeder Schritt war ihr vertraut. In jedes Zimmer trat sie. Das Nachtlicht fiel durch die Fenster und Schränke, und Truhen hockten wie düstere, ungeschlachte Schattentiere auf ihren Plätzen.
    Jede Tür verschloss sie sorgfältig, zog die Schlüssel ab und streifte sie über den Schlüsselring. An der Ladentür quietschten die Riegel. In der Küche goss sie Wasser in den Herd. Die Asche zischte leise auf.
    »Wir wollen gehen.« Sie band sich ihr schwarzes Wolltuch um den Kopf. Sigi streifte seine Handschuhe über.
    Durch die Werkstatt verließen sie das Haus. Die Räder drehten sich leise. Der Wagen lief leicht. Dort, wo er gestanden hatte, zeigten vier Ölflecke auf dem Boden an, wie gut Sigi ihn geschmiert hatte. Sie mieden die Hauptstraße und nahmen den Weg über den Wall, vorbei an Hinterhöfen und Ställen. Karl und Sigi hielten die Deichsel. Die Frauen liefen nebenher. Nirgendwo brannte in den düsteren Gassen ein Licht. Erst vor dem Stadttor fühlte sich Sigi sicherer. Niemand war ihnen begegnet. Die Straße führte ein wenig bergan. Frau Waldhoff und Ruth schoben jetzt. Die Füße fanden keinen rechten Halt auf dem Eisweg. Der Atem fror vor ihren Gesichtern zu weißem Hauch. Als sie die Kuppe des Hügels schließlich erreichten, schwitzten sie trotz der Kälte.
    Karl zog seine Handschuhe aus. Ruth gab ihm die Hand und sagte: »Du bist ein Goldstück, Karl.«
    Frau Waldhoff nahm seine Hand zwischen die ihren. »Wenn du mein Sohn wärest, ich wäre stolz auf dich.« Karl war glücklich und verlegen zugleich. Die Frauen nahmen die Deichsel auf. Wie von selber rollte der Wagen die abschüssige Straße den Hügel hinunter.
    »Ich komme gleich nach«, rief Sigi.
    »Lass dir Zeit, Junge, du wirst uns schon einholen.«
    Nebeneinander standen sie, blickten auf die Stadt und auf die Große Kirche und wussten nicht, was sie noch sagen sollten.
    Der Wagen war in der Biegung verschwunden.
    »Du nimmst mich doch mit auf den Turm?«
    »Versprochen ist versprochen.«
    »Wie ist es da oben?«
    »Ich musste mich fest gegen das Schieferdach lehnen, als ich hinunterblickte. Sobald ich frei stand, wurde ich unsicher und bekam Angst. Die Mauern wiegten sich im Wind. Von oben siehst du die Häuser winzig klein, die Menschen sind wie Zwerge. Na, du wirst es ja selber sehen.«
    »Ja, bald. Ich will wieder hierher zurück. Hierher gehöre ich.« Sigi griff in die Tasche und zog ein längliches Päckchen heraus. »Nimm das, Karl.« Karl wog es in seiner Hand. Es war das Messer. Er wusste es. Sigi hatte ihm sein Messer geschenkt. Noch ehe er einen Gedanken gefasst hatte, wie er Sigi danken sollte, wandte der sich plötzlich ab und lief davon. Vor der Biegung drehte er sich noch einmal um und winkte. Dann schluckte ihn die Finsternis.
    Karl ging zurück. Der Mond verkroch sich hinter den Dächern. Es wurde dunkler. Karl spürte die Kälte auf seinem Rücken. Er lief schneller. Fest hielt er das Messer in seiner Faust.
    »Das Messer werde ich ihnen zeigen, wenn ich diese schlimme Geschichte erzähle. Diese scheußliche Geschichte, diese elende Geschichte«, murmelte er verbissen vor sich hin. Jedes Mal trat er wild in den verharschten Schnee. Die Kristalle splitterten und stäubten hoch auf.
    »Diese elende Geschichte«, schrie er gegen die Häuser an. »Diese elende Geschichte.«
    Doch die Steine hörten ihn nicht.

25
    Karl hockte auf der Treppe vor dem Haus. Er legte die Hand flach auf die glatte Stufe. Der Stein hatte die Hitze des Tages aufgesogen und fühlte sich warm an, obwohl die Sonne in dieser Stunde nur noch die Dächer streifte und die Firstziegel aufglühen ließ.
    Frau Ulpius trat über die Schwelle.

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