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Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft

Titel: Es geschah im Nachbarhaus - die Geschichte eines gefährlichen Verdachts und einer Freundschaft Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Arena
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geeignet gewesen wäre.«
    Diesmal warf Herr Ulpius einen Stein in die noch leere Schale. Ein klein wenig richtete sich der Zeiger wieder auf.
    »Als Sachverständige wurden zwei Schlachtermeister gerufen und ein Herr aus der Provinzialhauptstadt. Sie hatten den Sack unter die Lupe genommen. Sie bestätigten Waldhoffs Aussage, dass es sich um einen gewöhnlichen Räuchersack handelte. Hier hakte der Staatsanwalt ein. ›Konnten Sie einwandfrei nachweisen, meine Herren, dass es sich in dem Sack nicht um Blutflecke vom Blut eines Menschen handelt?‹ Die Gutachter mussten zugeben, dass das allerdings jetzt, ein Jahr nach der Tat, nicht mehr möglich sei.«
    Ein kleines Gewicht legte Herr Ulpius trotzdem in Waldhoffs Schale.
    »Ein Professor war auch als Gutachter geladen. Er sollte etwas zu den Kindesmorden sagen, die die Juden angeblich des Blutes wegen begehen. Ihr hättet gestaunt, wie er dieses Gerede verurteilt hat. Er sagte, dass in den Glaubensbüchern der Israeliten nichts von solchen Vorschriften zu finden ist. Im Gegenteil. Die Juden sind sogar verpflichtet den Schein, sie dürften Blut genießen, zu meiden.«
    »Das stimmt«, erinnerte sich Karl. »Ruth hat sich mal beim Kartoffelschälen geschnitten und im ersten Schreck den Finger in den Mund gesteckt. Schnell hat sie ihn aber wieder herausgezogen und ihren Mund mit Wasser ausgespült.«
    »Warum das?«, fragte Frau Dreigens. Die Nachbarn waren herangetreten, um Herrn Ulpius’ Bericht zu hören.
    »Ruth hat gesagt«, antwortete Karl, » ›Wer Blut genießt, den will ich ausrotten in meinem Volke.‹ Das ist, glaube ich, ein Wort von Moses.«
    Herr Ulpius lobte Karl und sagte: »Das ist ein gutes Beispiel. Für mich war es besonders interessant, dass der Professor ausführte, auch Christen hätten in früheren Zeiten unter dem gleichen Vorwurf oft zu leiden gehabt. Die Römer haben es ihnen vorgeworfen.«
    »Und was sagen Sie zum Tod des heiligen Werner, Herr Ulpius?«
    »Ach, Herr Dreigens, die Kirche hat sehr deutlich verurteilt, die Juden mit dem, was man einen Ritualmord nennt, zu belasten. Als im 12. und 13. Jahrhundert das Gerede aufkam, da hat Papst Innozenz IV. sich zweimal in päpstlichen Botschaften der Juden angenommen, und zwar genau 1247 und sechs Jahre später.«
    Herr Ulpius fügte den Gewichten in Waldhoffs Schale ein schweres hinzu.
    »Der Professor hat mit seiner Aussage Waldhoff wohl sehr genützt. Aber dann wurde der Zeuge Kräfting in die Schranken gerufen. Er beschwor seine Aussage. Er sei gegen elf am Tage der Tat durch die Straße gekommen und habe gesehen, wie man ein Kind ins Waldhoff’sche Haus gezogen habe. Das Kind sei Jean gewesen. So wahr ihm Gott helfe.«
    Hart schlug der große Stein in die Schale. Der Zeiger ruckte tief nach links.
    Sie schwiegen. Schließlich fragte Frau Dreigens: »Was meinen Sie denn, Herr Ulpius?«
    »Ich meine, bevor das Urteil nicht gesprochen ist, ist Waldhoff ein unbescholtener Mann. Nicht wahr?«
    »Ja, ja, natürlich, natürlich«, murmelte es rundum. Herr Ulpius wandte sich der Haustür zu, verharrte noch einen Augenblick und sagte: »Morgen können Sie übrigens alles miterleben.«
    Die Köpfe hoben sich. Die Augen glitzerten vor Gier. Herr Ulpius zog die Mundwinkel herab.
    »Morgen ist um zehn Uhr im Waldhoff’schen Hause Ortstermin. Guten Abend.«
    Noch bevor Herr Ulpius seine grünen Bohnen mit Speck ganz aufgegessen hatte, gab es kein Haus in der Stadt, in dem die Neuigkeit nicht erregte Gespräche bewirkte. Von verschiedenen Seiten her sprang sie von Tür zu Tür, von Mund zu Mund. Alle, die dem Prozess als Zeugen oder Schaulustige beigewohnt hatten, verbreiteten die Nachricht:
    Morgen ist Ortstermin.
    Karl hatte die Waage wieder an ihren Platz gehängt. Die Gewichte aus Vaters Tasche lagen eingeordnet im Gewichtbrett. Die er aber in die Schalen gelegt hatte, die waren von Karl nicht herausgenommen worden.
    »Noch ist nicht aller Tage Abend«, tröstete sich Karl.
    »Eine Überraschung habe ich für dich, Junge«, rief Vater. »Dein Freund kommt morgen. Ich habe ihn für die nächste Nacht zu uns eingeladen. Er kann dann mit mir in die Kreisstadt fahren.«
    »Ach du liebe Zeit«, wunderte sich Mutter. »Wo soll er denn schlafen?«
    »Bei mir im Zimmer natürlich, Mutter«, antwortete Karl. »Ich rolle mich in eine Decke und schlafe auf dem Fußboden. Es ist noch Sommer. Dann ist mein Bett für Sigi frei.«
    Frau Ulpius schüttelte den Kopf. »Ich habe ein paar Männer«, seufzte sie,

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