Es grünt so grün
Art Über-Smetana. (Wußtest du, daß ich als Junge von dem Tag geträumt habe, an dem ich mein Patent als Unterleutnant erhalten würde?)
Boston, Massachusetts
Ich habe diesen Brief unterbrochen, um ein Stück des Mittelteils des vierten Satzes zu skizzieren, und ich habe eine wertvolle Woche damit verschwendet, einem falschen Weg zu folgen. Und natürlich läßt mich der Gedanke nicht los, daß es gar kein falscher Weg, sondern doch der richtige war; der Versuch, etwas auszudrücken, ist ein ständiges Ringen mit Zweifeln.
Morgen brechen wir von hier mit unbekanntem Ziel auf wahrscheinlich Portsmouth und dann irgendwo in Maine; wir hoffen, dem Schicksal genug Zeit abzuringen, um die Partitur beenden zu können. Es erscheint mir mehr als nur ein wenig pompös, meine Erklärung fortzusetzen. Das Gras, die Vereinigten Staaten, die Menschheit, Gott – über was wir auch schreiben, wir schreiben immer über die gleichen Dinge.
Doch individuelle Wahrnehmungsfähigkeit hat ihre Grenzen, und meine Interessen – zumindest meine musikalischen Interessen – scheinen mir von Kanada und Mexiko, dem Pazifik und dem Atlantik begrenzt. Ob richtig oder nicht, selbst wenn das Wunder geschieht und ich rechtzeitig fertig werde, kann ich hier nicht fort. Nur ein kurzes Stück von hier, ganz nah von der Stelle, wo ich diese Worte zu Papier bringe, ist Vanzetti gestorben. Kein kindischerer Gedanke als Sühne wurde je ersonnen. Sie ist grundlegende und zugleich grundlose Genugtuung.
Übeltaten sind nicht widerrufbar. Also verurteile ich mich auch nicht für den Mord an Vanzetti oder für meine vielfältigen Verbrechen; wer bin ich, ein Urteil zu sprechen, und sei es über mich selbst? Aber wir alle, die wir mehr oder weniger beladen sind, Ankläger und Angeklagte, Verurteilte und Urteilssprecher, werden bleiben – für immer ununterscheidbar. Wenn das Requiem für unsere Fehler und unsere Tugenden, wenn die Feier unserer Vergangenheit und das Gebet um unsere Auferstehung orchestriert werden kann, dann wird der vierte Satz beendet werden. Wenn nicht …
Aroostook, Maine
Günstigenfalls haben wir noch drei Tage. Ich glaube nicht, daß die Sinfonie zu Ende gebracht werden kann, aber der Gedanke stört mich jetzt nicht mehr. Es wäre eine schöne Sache, sie zu vollenden, genauso wie es eine schöne Sache wäre, auf Schäfchenwolken zu sitzen und ewige, nie schmelzende, nie übersättigende Eishörnchen mit himmlischem Geschmack zu genießen.
Der Mann, der diesen Brief mitnehmen soll, wartet schon ungeduldig. Ich muß schnell Schluß machen, bevor seine Überzeugung, daß ich geisteskrank bin, mein Versprechen aussticht, daß er von Dir eine Belohung bekommt. Meine Liebe für Mama, die Schwestern und Dich und freundliche Grüße an den großen Magnaten.“
69.
Etwa zur gleichen Zeit erreichte mich auch ein Brief, der irgendwie durch die Abschirmung meiner Sekretärin geschlüpft sein muß:
Albert Weener
Savoy Hotel
Themseufer, WC 1
„Sir!
Vielleicht erinnern Sie sich an Ihr Angebot, das ich für verfrüht hielt. Das ist jetzt anders. Ich bin nachmittags von 13 bis 18 Uhr zu Hause, Little Bow Street 14, EC3 (dritter Stock, Hinterfront).
Josephine Spencer Francis.“
Trotz ihrer Unfreundlichkeit bei unserer letzten Begegnung veranlaßte meine wohlwollende Einstellung mich, ihr ein Taxi zu schicken. Sie trug dasselbe Kostüm wie vor Jahren, ihr Gesicht war immer noch faltenlos und von zweifelhafter Sauberkeit.
„Wie geht es Ihnen, Miss Francis? Ich freue mich, Sie unter den Glücklichen zu finden. Wenn wir heutzutage nichts von alten Freunden hören, halten wir sie automatisch für verloren.“
Sie sah mich an, so wie man einen Bekannten mustert, dessen Namen man peinlicherweise vergessen hat. „Diese Höflichkeit bringt Ihnen nichts ein, Weener“, sagte sie knapp. „Ich bin hier, Sie um einen Gefallen zu bitten.“
„Alles, was ich für Sie tun kann, Miss Francis, wird mir eine Freude sein“, versicherte ich ihr.
Sie nahm wieder einen Zahnstocher, aber es war nicht der altmodische goldene – nur ein gewöhnlicher Holzsplitter. „Ahemm. Erinnern Sie sich an Ihre Bitte, daß ich das Einsammeln von Cynodon-daetylon-Proben überwachen sollte?“
„Seitdem haben die Umstände sich sehr geändert“, antwortete ich.
„Sie haben die Angewohnheit, so etwas zu tun. Ich erwähne Ihr Angebot nur, weil Sie es als Anreiz mit der Möglichkeit koppelten, meine eigenen Forschungen voranzutreiben. Ich bin auf dem Weg, das
Weitere Kostenlose Bücher