Es grünt so grün
weniger hochtrabende, aber dafür um so blutdürstigere Gruppe von Vertretern der Einen und Unteilbaren Republik zu stoßen – wann diese Republik entstand, wie weit ihre Autorität reichte und wie lange sie andauerte, habe ich niemals erfahren –, und dem brennenden Schmerz meiner Füße in ihren dünnsohligen Schuhen, und daher war ich bei Einbruch der Dunkelheit wohl nur wenige Kilometer von unserer Landestelle und daher noch viele Kilometer von der Küste entfernt. Ich trottete weiter, müde, verängstigt, hungrig, in keiner besseren Lage als tausende anderer Unglücklicher, die zur gleichen Zeit unter gleichen Bedingungen dieselbe Richtung einschlugen.
Der einzige Vorteil meiner Wanderung bei Nacht war, daß meine Angst vor den Absichten der Menschen schwand, aber die Natur glich das wieder aus, indem sie mir ihre Hindernisse in den Weg legte. Die Hecken, die wild wucherten, die nicht ausgebesserten Wege, eingesunken und von tiefen Löchern und Furchen übersät, und hundert weitere Fallstricke ließen mich quälend langsam vorankommen.
Als der Mond aufging, hatte ich plötzlich das Gefühl, in der Nähe von Wasser zu sein, und als ich durch ein Dickicht trat, wurde dies bestätigt, als ich das Licht sich auf den Riffeln einer unebenen Oberfläche brechen sah. Aber tragischerweise war es nicht der Kanal, den ich erreicht hatte, sondern nur ein Fluß, zu breit zum Überqueren; wenn er auch zweifellos zu meinem Ziel führte, so würde er meine Strecke doch um viele Kilometer verlängern. Ich fürchte, ich gab einer recht unmännlichen Schwäche nach, als ich mich auf den harten Boden warf und an mein beklagenswertes Schicksal dachte.
Ich mag dort zehn oder zwanzig Minuten gelegen haben. Der Mond verzog sich hinter einer Wolke, die Luft wurde kühl. Ich sammelte meine Kräfte, um aufzustehen und meinen Marsch fortzusetzen – obwohl ich nicht zu sagen vermochte, zu welchem Zweck, denn an der Küste der Normandie war ich kaum besser aufgehoben als im Inland –, als sich behutsam eine Hand auf meine Schulter legte und jemand fragend sagte: „Angleterre?“
Ich sprang auf. „England, oh ja, England. Können Sie mir helfen, dorthin zu gelangen?“
Der Mond blieb verdeckt, und ich konnte im Dunkeln sein Gesicht nicht sehen. „England“, sagte er, „ja, ich bringe Sie hin.“
Ich folgte ihm zu einem kleinen Nebenarm, wo ein Ruderboot am Ufer lag. In der Finsternis schien es mir schon bei der bloßen Berührung ein sehr kleines und zerbrechliches Fahrzeug für die Reise über das unruhige Meer zu sein, aber ich hatte keine Wahl. Ich setzte mich ans Heck, während er die Riemen nahm, uns abstieß und den Fluß zur Mündung hinunterruderte.
Ich kam zu dem Schluß, daß er zu einer der Schmugglergruppen gehörte, die trotz strengster Kontrollen Flüchtlinge nach Großbritannien übersetzten. Ohne Zweifel erwartete er, für die Arbeit dieser Nacht gutes Geld zu verdienen, aber keine Küstenwache würde Albert Weener zurückschicken. Ich würde ihn für seine Hilfe gut bezahlen, aber er konnte mich nicht um ein riesiges Lösegeld erpressen.
Der Mond kam immer noch nicht heraus. Meine Augen gewöhnten sich an das Dunkel und nahmen verschwommen die Gestalt mir gegenüber wahr. Ich sah, daß es ein kleiner Mann war, aber darüber hinaus konnte ich über sein Aussehen nichts sagen. Der Fluß wurde breiter, die Luft wurde salzig, der Wind nahm zu, und schon bald hüpfte das kleine Boot auf und ab, was meinem Magen übel bekam. Das Wasser, das Terrassen und Zinnen bildete, reflektierte genug Licht, um mir einen Eindruck von der Winzigkeit des Boots zu geben, das auf dieser weiten Wasserfläche trieb.
Hinter uns war die französische Küste eine hochaufragende Masse, dann ein dicker Tropfen und schließlich nur noch ein schwacher Punkt, für die überanstrengten Augen kaum sichtbar. Ich wurde seekrank, würgte und erbrach mich über dem schmalen Freibord. Mit nie ermüdenden Armen ruderte der Mann stetig und rhythmisch, offenbar von dem Auf- und Abspringen des Boots unbeeindruckt, und in den Momenten, in denen ich mich von meiner Übelkeit erholte, überlegte ich, daß er eine Menge Erfahrung und diese Fahrt schon viele Male gemacht haben mußte. Eine eigentümliche Art, zu Reichtum zu kommen, dachte ich. während sich mein Magen erneut zusammenkrampfte: sich an der Not der Mitmenschen zu bereichern.
Ich übergab mich und döste, döste und übergab mich. Die Nacht war endlos lang, der Wind bitterkalt. Welche
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