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Es grünt so grün

Es grünt so grün

Titel: Es grünt so grün Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ward Moore
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über den so lange verzögerten Aufschwung meiner Vermögensverhältnisse meditierend.
    Die Straße war in einiger Entfernung durch eine Barriere gesperrt, dicht an dicht geparkte Autos zeugten von der Anziehungskraft des sich ausbreitenden Grases. Die neugierigen Müßiggänger verfluchend, schob und drängte ich mich vorwärts zu jener Stelle, die jetzt der Mittelpunkt all meiner Bemühungen geworden war.
    Die Dinkmans hatten in einem urbanen Viertel gewohnt. Es bestand weder aus prunkvollen Häusergruppen, noch hatte es das eintönige Aussehen parzellierter Grundstücke, wie sie dem Kopf habgieriger Makler entsprangen. Mittelklasse-Bungalows bescheidener Größe in mittlerer Preislage: das waren die Eigenheime der Dinkmans und ihrer Nachbarn; ein Beispiel aus einem Muster, das variabel, aber grundsätzlich gleich war, hier wie in Oakland, Seattle und St. Louis, in Chicago, Philadelphia, Boston und Cleveland.
    Aber was ich jetzt sah, war keine städtische Szenerie, war nicht das Bild, welches darauf beruhte, daß Vati den ganzen Tag im Büro war, am Abend einen tropfenden Wasserhahn reparierte und im Sommerurlaub die Holzverkleidung strich, oder daß Mammi nach einem netten Nachmittag mit ihren Freundinnen großzügig Dosen fürs Abendessen aufmachte und besorgt der Putzfrau zuschaute, die einmal die Woche kam. Eine fremdartige Erscheinung, eine brutale Faust, durch die Leinwand gestoßen, leugnete die überkommene Vorstellung, daß es sich um ein Bild der Wirklichkeit handelte. Ein kegelförmiger Hügel erhob sich zu einem verschwommenen Gipfelpunkt und kennzeichnete die Grabstätte des Dinkman-Hauses. Es war die Zeichnung eines Kindes von einem kegelförmigen Hügel, mit grüner Pastellfarbe gemalt; zu symmetrisch, zu glatt und zu grün, um ein spontanes Produkt der Natur zu sein; in seiner Komposition war die phantasielose Hand des Menschen sichtbar.
    Die Seiten des Kegels erstreckten sich an den Türen und Fenstern der angrenzenden Häuser vorbei und versperrten sie, wie sie vorher das Haus der Dinkmans blockiert hatten, aber ihre Bewohner, vorgewarnt durch die Ereignisse, hatten sie verlassen. Ihr Auszug signalisierte mehr als nur Fahnenflucht: Das war die totale Aufgabe, die Kapitulation vor dem Eindringling. Die Grundfläche des Kegels, die Kapitulation annehmend und immer noch aggressiv, hatte die darunterliegenden Rasenflächen erreicht und mahnte die dortigen Hausbewohner, bereit zur Flucht zu sein; über Zäune war das Gras zu den Häusern vorgedrungen, die an der Parallelstraße lagen, und auf dem Pflaster vor der Haustür der Dinkmans hatte es sich selbstbewußt festgesetzt.
    Ich würde einen Teil der Wahrheit unterdrücken, gäbe ich nicht zu, daß ein perverser Stolz mich einen Moment lang dazu brachte, diesen Hügel als mein Werk, meine Schöpfung zu preisen. Ohne mich hätte er nicht existiert. Ich hatte etwas Bemerkenswertes getan, hatte etwas in Bewegung gesetzt; das war ein ähnliches Gefühl, stelle ich mir vor, das Verbrecher veranlaßt, sich ihrer Verbrechen zu rühmen.
    Ich gab diesen krankhaften Gedankengang schnell auf, doch er wurde durch einen fast ebenso pathologischen Impuls verdrängt: Plötzlich verspürte ich das heftige Bedürfnis, das sich ausbreitende Gras zu berühren, es zu fühlen, auf ihm zu gehen und mich darauf zu wälzen. Ich versuchte, mich unter Kontrolle zu halten, aber nichts konnte mich davon abhalten, die langen Ausleger durch meine halb geöffneten Hände laufen zu lassen. Es war, als erhielte ich eine Art Elektroschock. Obwohl die Halme weich und zart waren, vermittelten die Stengel meiner Handfläche wogende Vitalität, unerbittliche Lebendigkeit und unleugbare Kraft. Ich zog mich von der grünen Masse zurück, als hätte ich etwas sehr Gewagtes unternommen.
    Denn, ganz gleich, was Botaniker und Naturkundler uns erzählen, gewohnheitsmäßig halten wir Pflanzenleben für starr und fest, schwerfällig und reglos. Aber dieses abnorme Gewächs war kein untätiger Rasen, keine schlafende Vegetation. Während ich in faszinierter Aufmerksamkeit davorstand, bewegte sich das Ding ständig; nicht nur an einer Stelle, sondern an Tausenden; nicht nur in eine Richtung, sondern auf alle Punkte der Windrose zu. Es wand und krümmte sich in alptraumhafter Unruhe, wuchs und dehnte sich aus; immer weiter, weiter und weiter. An menschlichen Maßstäben gemessen war seine Bewegung langsam, aber es war so entsetzlich, diese gewaltige grüne Masse sich überhaupt bewegen zu sehen,

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