Es klopft
fragte sie: »Mein Vater heißt nicht zufällig Manuel Ritter?«
In Monikas Ohren begann es zu hallen, es war ihr, als ob dieser Name als mehrfaches Echo aus der Kuppel und der Krypta einer Kathedrale zurückgeworfen werde. Sie umklammerte mit der Hand den obersten Pfosten des Geländers, drehte sich schweigend weg und schaute zum Fenster hinaus auf die beleuchtete Straße hinunter, auf das Straßenschild »STREET ENDS - NO OUTLET«.
23
V iel Glück, Manuela«, sagte Anna, »ich warte hier auf dich« und setzte sich auf die Bank bei der Bushaltestelle, während Manuela auf den Neubau zuging, vor dem eine Tafel verkündete, dass hier Dr. Eduard Schwegler für dermatologische und venerologische, Dr. Stephan Zihlmann für urologische und Dr. Manuel Ritter für Ohren-, Nasen- und Halsprobleme zuständig seien. Es war kurz vor 17 Uhr.
»So you are a tourist?« fragte Frau Weibel, die Praxisassistentin. Manuela nickte.
Gerade hatte sie auf Englisch gesagt, dass sie schreckliche Ohrenschmerzen habe und froh wäre, wenn sie den Doktor sehen könnte.
»I must see, if the doctor has still time«, sagte Frau Weibel und bat sie, das Blatt mit den Personalien auszufüllen. Sie trug sich unter dem Geschlechtsnamen ihres Stiefvaters ein, Beck, Vorname Nela, und gab als Zürcher Adresse das Hotel Rütli am Central an. Dann wurde sie ins Wartezimmer gewiesen, wo sie sich setzte, mit der Hand am linken Ohr.
Es war Mitte Juli, Manuela wunderte sich über die Hitze. Sie trug nur eine leichte pinkfarbene Bluse und helle Leinenhosen, aber sie schwitzte. Jede Praxis dieser Art wäre in Amerika klimatisiert, die hier war es nicht.
Vor etwa zwei Monaten hatte ihre Cousine Anna ihr ein Mail geschickt, in dem sie ihr die Geschichte mit dem Foto erzählt und sie gefragt hatte, ob sie sich vorstellen könne,
warum die Begegnung mit Dr. Manuel Ritter so wichtig für ihre Mutter gewesen sei, dass sie ihm damals ein Bild von sich und ihr geschickt habe. Sie vergaß nicht, Manuels Bitte beizufügen, dass sie, Anna, ihrer Tante Monika nichts davon erzählen solle.
Manuela war sofort klar, dass dies endlich die Spur war, die zu ihrem Vater führte. Es war ein harter Abend gewesen mit ihrer Mutter, Manuela war aufgebracht, dass sie so lange angelogen worden war, und Monika versuchte ihr begreiflich zu machen, dass sie diesem Mann versprochen habe, aus seinem Leben zu verschwinden und alles zu vermeiden, was ihm Schwierigkeiten machen könnte, schließlich habe er ja eine Familie gehabt.
Gehabt? Sein Sohn sei Annas Freund und der Vater ihres Kindes. Diese Mitteilung hatte Monika erschüttert, denn damit war eine Begegnung mit Manuels Familie fast unvermeidlich. Verzweifelt warb sie um Verständnis für ihre Situation.
Ob sie sich vorstellen könne, wie das sei, wenn es einfach nicht klappe mit den Männern?
Natürlich könne sie das, da genüge ihr ein Blick in den Spiegel!
Das sei nun eben ihre Art gewesen, dieses Problem zu lösen.
Lösen, hatte Manuela gesagt, lösen könne man das wohl nicht nennen, es müsse ihr doch klar gewesen sein, dass sie damit nur neue Probleme schaffe, und zwar happige.
Es waren endlose Gespräche voller Vorwürfe, die bis in die Morgenstunden dauerten, und die Wörter und Sätze, die das Zerwürfnis zu mildern vermocht hätten, wollten sich nicht einstellen.
Manuela war noch empörter, als sie am nächsten Tag vernahm, dass Richard die Geschichte ihrer Herkunft gekannt hatte.
Sie sei also ein Leben lang behandelt worden wie ein kleines Kind. »Ich bin betrogen«, hatte sie gesagt, »betrogen, really. Shit.«
Als sie dann ihren Plan bekannt gegeben hatte, in die Schweiz zu reisen, um ihren Vater zu treffen, bat sie Monika mit Richards Unterstützung inständig, dies nicht zu tun, sie könne damit eine Existenz ruinieren. Doch Manuela legte ihr Ticket auf den Tisch, das sie bereits gebucht hatte, und sagte, daran könne sie niemand hindern und sie sollten auch mal darüber nachdenken, ob sie vielleicht ihre Existenz ruiniert hätten mit dieser Lüge, und jedes Kind habe das Recht, seine Eltern zu kennen.
»Und wenn du deinen Vater kennst, was ist dann?« hatte Monika gefragt.
»Dann? Das weiß ich auch nicht«, hatte Manuela geantwortet, »aber es ist besser, als wenn ich ihn nicht kenne.«
Und nun trennte sie nur noch eine Türe oder eine Wand von ihrem Vater, und auf einmal fühlte sie sich wie ein Kind, das im Begriff steht, etwas Verbotenes zu tun. Möglicherweise hatte das wirklich üble Folgen
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