Es: Roman
Zimmer, legte sich aufs Bett, hielt sich den schmerzenden Magen und dachte: Er ficht gar furchtlos kalt sogar noch feiste Geister. Seit Georgies Tod dachte er mehr und mehr daran, obwohl seine Mutter ihm den Satz schon vor zwei Jahren beigebracht hatte. Inzwischen hatte er für ihn aber eine Art magischer Bedeutung bekommen: An jenem Tag, wenn er es schaffen würde, zu seiner Mutter zu gehen, ihr in die Augen zu schauen und diesen Satz ohne das geringste Stottern zu sagen, würde das Eis brechen. Ihre Augen würden aufleuchten, sie würde ihn fest umarmen und rufen: »Großartig, Billy! Was für ein guter Junge! Was für ein guter Junge!«
Er hatte das natürlich niemandem verraten; lieber hätte er sich die Zunge abgebissen, als diesen Traum aus dem Innersten seines Herzen preiszugeben. Wenn er diesen Satz fehlerfrei sprechen konnte, den seine Mutter ihm eines Samstagmorgens ganz nebenbei beigebracht hatte, als er und Georgie sich im Fernsehen Die Abenteuer von Wild Bill Hickok mit Guy Madison und Andy Devine ansahen, dann würde das jenem Kuss gleichen, der Dornröschen aus ihren kalten Träumen erweckt und in die wärmere Welt der Liebe versetzt hatte.
Er ficht gar furchtlos kalt sogar noch feiste Geister.
Natürlich erzählte er seinen Freunden auch an jenem 3. Juli nichts davon, aber er erzählte ihnen, was sein Vater ihm über die Abflusskanalisation in Derry berichtet hatte. Er war ein Junge mit sehr viel Fantasie (manchmal fiel es ihm leichter, etwas zu erfinden, als die Wahrheit zu sagen), und die Szene, die er schilderte, unterschied sich beträchtlich von der Wirklichkeit: In seiner Erzählung hatten sein alter Herr und er zusammen in die Röhre geschaut und dabei Kaffee getrunken.
»Lässt dein Dad dich Kaffee trinken?«, fragte Eddie.
»Na k-k-klar«, sagte Bill.
»Mann!«, meinte Eddie. »Meine Mutter würde mir nie erlauben, Kaffee zu trinken. Sie sagt, das Koffein sei gefährlich. « Nach kurzem Schweigen fügte er hinzu: »Selbst trinkt sie aber welchen.«
»Mein Dad lässt mich Kaffee trinken, wenn ich möchte«, sagte Beverly. »Aber er würde mich glatt umbringen, wenn er wüsste, dass ich rauche.«
»Weshalb seid ihr euch so sicher, dass Es in den Abflusskanälen haust?«, fragte Richie und blickte von Bill zu Stan Uris und dann wieder zurück zu Bill.
»A-A-Alles d-deutet darauf hin«, erklärte Bill. »Die Sch-Sch-Stimmen, die B-Beverly g-g-gehört hat, kamen aus dem Abfluss. Ebenso das B-B-B-Blut. Als der Clown uns v-v-verfolgte, waren jene orangefarbenen K-K-Knöpfe n-neben einem G-G-Gully. Und Georgie …«
»Es war kein Clown, Big Bill«, sagte Richie. »Ich hab’s dir doch schon gesagt: Ich weiß, dass es sich verrückt anhört, aber es war ein Werwolf.« Er blickte in die Runde, als müsste er sich verteidigen. »Ich schwör’s euch. Ich habe ihn gesehen. «
Bill sagte: »Für d-d-dich war es ein W-W-W-Werwolf.«
»Hä?«
Bill sagte: »K-Kapierst du d-denn nicht? Es war ein W-Werwolf für dich, weil du im A-A-A-Aladdin diesen b-b-blöden Film g-gesehen hast.«
»Das kapier ich nicht«, sagte Richie.
»Ich aber«, erklärte Ben ruhig.
»Ich w-w-war in der B-B-Bücherei und hab nachgelesen«, sagte Bill. »Ich glaube, es ist ein Glah-Glah« – er machte eine Pause, strengte sich an und spie es aus – »ein Wandler. «
»Wanderer?«, fragte Eddy zweifelnd.
»Wa-Wa-Wandler«, sagte Bill und buchstabierte es. Er erzählte ihnen von dem Artikel in der Enzyklopädie und von einem anderen Artikel, den er in einem Buch über Okkultismus gefunden hatte. Wandler, erzählte er ihnen, war der gälische Name für die Kreatur, die Derry heimsuche. Andere Rassen und Kulturen verschiedener Epochen hätten Es anders genannt, aber in etwa das Gleiche darunter verstanden. Die Prärieindianer würden Es als Manitu bezeichnen, der manchmal die Gestalt eines Berglöwen, manchmal die Gestalt eines Rothirschs oder eines Adlers annehmen könne. Diese Indianer glaubten auch, dass der Geist eines Manitu manchmal in sie eindringen könne, und dass es ihnen dann möglich sei, in den Wolken die Gestalten jener Tiere zu sehen, denen ihre Sippe geweiht sei. Die Himalajabewohner nannten Es Tallus oder Taelus; sie verstünden darunter ein böses Zauberwesen, das menschliche Gedanken lesen und dann die Gestalt annehmen könne, vor der man am meisten Angst habe. In Mitteleuropa hätte man Es Eylak, Bruder des Wurdelak, oder Vampir genannt. In Frankreich sei Es als le Loup-Garou bezeichnet worden, was
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