Nora Roberts
Prolog
James Sladerman fixierte mit finsterer
Miene seine Schuhspitzen. Dieser finstere Ausdruck war nicht von seinem
Gesicht gewichen, seit er am Morgen auf seinem Schreibtisch im Dezernat die
Nachricht vorgefunden hatte, Commissioner Dodson in seinem Büro aufsuchen zu
sollen. Er stieß eine dicke Rauchwolke aus und drückte anschließend die
Zigarette in dem schweren Mosaikaschenbecher zu seiner Linken aus. Inzwischen
hatte er sich kaum bewegt. Slade verstand sich aufs Warten.
Erst in der
Nacht zuvor hatte er über fünf Stunden in einem dunklen, eiskalten Wagen
ausgeharrt, und das in einer Gegend, in der es ratsam war, niemandem den
Rücken zuzudrehen und auf seine Brieftasche aufzupassen. Es waren öde,
fruchtlose fünf Stunden gewesen; die Überwachung hatte rein gar nichts
gebracht. Doch Slade wusste aus seiner langjährigen Erfahrung, dass die
Polizeiarbeit überwiegend aus endlosen Fußmärschen, stundenlangem Warten und
Papierkram bestand, die nur von gelegentlichen Gewaltakten unterbrochen wurden.
Dennoch zog er die fünfstündige Überwachung bei weitem den zwanzig Minuten vor,
die er gerade in dem beige gestrichenen und mit Teppichen ausgelegten Vorzimmer
des Commissioners verbracht hatte. Es roch nach Zitronenpolitur und jetzt auch
nach seinem Virginiatabak. Die Tasten einer Schreibmaschine klapperten mit
monotoner Effizienz, als die Sekretärin des Commissioners ihre Berichte tippte.
Was, zum
Teufel, wollte er von ihm?, fragte sich Slade zum wiederholten Male. Im Laufe
seiner Karriere hatte Slade tunlichst jeden Kontakt mit der politischen Seite
der Polizeiarbeit vermieden, da er mit einer strikten Abneigung gegen jede Art
von Bürokratie behaftet war. Bei seinem Aufstieg vom Kadetten zum Detective
Sergeant hatte es wenig Gelegenheit gegeben, dass seine Wege sich mit Dodsons
kreuzten.
Beim
Begräbnis seines Vaters war es zu einem kurzen, persönlichen Kontakt mit
Dodson gekommen. Captain Thomas C. Sladerman wurde mit allen Ehren beigesetzt,
die ihm nach 28 Jahren im Dienste der Polizei zustanden, zumal er bei der
Ausübung seiner Pflicht ums Leben gekommen war. Slade erinnerte sich, dass der
Commissioner sich sehr mitfühlend gegenüber der Witwe und der jungen Tochter
verhalten hatte. Auch gegenüber dem Sohn hatte er die passenden Worte gefunden.
Vielleicht war er tatsächlich ein wenig betroffen gewesen. Zu Beginn ihrer
Karriere waren Dodson und Sladerman Partner gewesen. Sie waren beide noch jung
gewesen, als sich ihre Wege trennten – der eine fand eine Nische in der Politik
und der Verwaltung, der andere entschied sich für den Kampf auf der Straße.
Danach
waren sie sich nur noch ein einziges Mal begegnet. Damals lag Slade im
Krankenhaus und erholte sich von einer Schusswunde. Der Besuch des Polizeichefs
bei dem einfachen Detective hatte zu Gerüchten und Spekulationen geführt, die
Slade nicht nur in Verlegenheit brachten, sondern auch ziemlich geärgert
hatten.
Inzwischen
pfiffen es wahrscheinlich schon die Spatzen von sämtlichen Dächern, dass der
Alte ihn zu sich beordert hatte. Seine Miene verfinsterte sich zu einem
Grollen. Einen Moment überlegte er, ob er sich irgendeiner dienstlichen Verfehlung
schuldig gemacht hatte und schalt sich gleich darauf, dass er sich benahm wie
ein Schuljunge, der zum Direktor zitiert wurde.
Ach, zum
Teufel, fluchte Slade im Stillen und versuchte sich zu entspannen. Der Stuhl
war weich – zu weich und zu kurz. Um die fehlende Sitzfläche auszugleichen,
drückte Slade die Wirbelsäule an die Rundung der Rückenlehne und streckte die
langen Beine von sich. Seine Augen waren halb geschlossen. Nach diesem Gespräch
würde er wieder seinen Beobachtungsposten beziehen. Falls er die Aktion heute
Nacht zu einem erfolgreichen Abschluss brächte, könnte er sich auf ein paar
freie Abende an seiner Schreibmaschine freuen. Mit ein bisschen Glück – und
einem Monat konzentrierter Arbeit ohne Unterbrechungen – könnte er es
schaffen, seinen Roman zu Ende zu bringen. Seine Umgebung ausblendend, ging er
im Geiste das Kapitel durch, an dem er gerade arbeitete.
»Sergeant Sladerman?«
Verärgert
über die Ablenkung, hob Slade den Blick. Langsam klärte sich sein
Gesichtsausdruck. Es war eine Zeitverschwendung gewesen, den Fußboden
anzustarren, wenn die Sekretärin des Polizeichefs einen so viel ergötzlicheren
Anblick bot, stellte er fest und setzte sofort sein scharmantestes Lächeln
auf.
»Der
Commissioner erwartet Sie jetzt.« Die Sekretärin erwiderte sein
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