Es: Roman
Arm abzuwischen, aber sogar diese kleine Bewegung jagte eine neue heiße Schmerzwelle durch seinen Körper.
Als du dich auf den Weg zum Drugstore gemacht hast, hättest du dir nicht träumen lassen, dass du etwas später mit gebrochenem Arm und mit Patricks Rotze im Gesicht auf dem Gehweg der Costello Avenue liegen würdest, was? Du bist nicht mal dazu gekommen, deine Cola zu trinken. Das Leben hält viele Überraschungen bereit, stimmt’s?
Und unglaublicherweise lachte er wieder. Es war ein schwacher Laut, und das Lachen tat in seinem gebrochenen Arm weh, aber trotzdem tat es ihm gut. Und auch noch etwas anderes war bemerkenswert: kein Asthma. Er atmete ganz normal. Das war wirklich ein Glück, denn er hätte sein Asthma-Spray nicht aus der Tasche ziehen können. Auf gar keinen Fall.
Die Sirene heulte jetzt schon ganz in der Nähe. Eddie schloss die Augen und sah rot unter seinen Lidern. Dann fiel ein dunkler Schatten auf ihn. Es war der kleine Junge auf dem Dreirad.
»Geht’s dir gut?«, fragte der Kleine.
»Sehe ich so aus?«, erwiderte Eddie.
»Du siehst schrecklich aus«, sagte der kleine Junge und trat in die Pedale, wobei er den Abzählreim »The Farmer in the Dell« schmetterte.
Eddie begann zu kichern. Die Sirene war jetzt ganz nah, und er hörte die quietschenden Reifen des Polizeiautos. Er hoffte, Mr. Nell würde im Wagen sitzen, obwohl er eigentlich wusste, dass Mr. Nell Fußpolizist war.
Warum in Gottes Namen kicherst du so?
Er wusste es nicht, und ebenso wenig wusste er, warum er sich trotz der starken Schmerzen so erleichtert fühlte. War es vielleicht einfach deshalb, weil er noch am Leben war, weil er wusste, dass er nur einen gebrochenen Arm davongetragen hatte, dass man ihn wieder zusammenflicken konnte? Er kam zu dem Schluss, dass es so sein musste, aber als er Jahre später in der Stadtbücherei von Derry saß, ein Glas Pflaumensaft mit Gin vor sich, erklärte er den Freunden, er glaube inzwischen, es sei noch etwas anderes gewesen; er sei damals alt genug gewesen, um dieses andere zu spüren, aber nicht alt genug, um es sich erklären zu können.
Ich glaube, es war der erste wirkliche Schmerz, den ich je im Leben hatte, sagte er ihnen. Ich hatte mir Schmerz immer ganz anders vorgestellt. Er ließ mich als Person unversehrt. Ich glaube … herauszufinden, dass man mit oder auch trotz des Schmerzes weiterlebt, das verschaffte mir eine Art Vergleichsbasis.
Eddie drehte den Kopf etwas nach rechts und sah große schwarze Firestone-Reifen, glänzende Radkappen aus Chrom und pulsierendes Blaulicht. Und dann hörte er Mr. Nells Stimme mit breitem irischem Akzent, nur dass sie mehr nach Richies Stimme-des-irischen-Bullens klang als nach Mr. Nells richtiger Stimme … aber vielleicht lag das auch nur an der Entfernung:
»Du lieber Himmel, das ist der Kaspbrak-Junge!«
Dann war Eddie weg.
4
Und mit einer Ausnahme blieb er das auch eine Weile.
Er kam im Krankenwagen kurz zu sich und sah, dass Mr. Nell ihm gegenüber saß, an seiner kleinen braunen Flasche nippte und einen Taschenbuchkrimi mit dem Titel Ich, der Richter las. Das Mädchen auf dem Umschlag hatte die größten Brüste, die er je gesehen hatte. Eddies Blicke schweiften von Mr. Nell zum Fahrer des Wagens. Dieser drehte sich nach Eddie um; er hatte ein breites schlaues Grinsen im Gesicht, seine Haut war weiß geschminkt, seine Augen funkelten wie neue Münzen. Es war Pennywise.
»Mr. Nell«, flüsterte Eddie heiser.
Mr. Nell blickte lächelnd von seinem Buch auf. »Wie fühlst du dich, mein Junge?«
»… Fahrer … der Fahrer …«
»Ja, wir werden ruckzuck da sein«, sagte Mr. Nell. »Trink mal’nen Schluck. Es wird dir guttun.«
Eddie trank aus der braunen Flasche, die Mr. Nell ihm an den Mund hielt. Es schmeckte wie flüssiges Feuer. Er hustete, und sein Arm schmerzte davon. Er schaute nach vorn und sah, dass der Fahrer nur irgendein Mann mit Bürstenhaarschnitt war. Kein Clown.
Dann verlor er wieder das Bewusstsein.
Als er das nächste Mal zu sich kam, lag er in einem Raum der Notaufnahme, und eine Krankenschwester wischte ihm mit einem kalten, nassen Tuch Blut, Rotz und Schmutz vom Gesicht ab. Das brannte, aber gleichzeitig war es sehr angenehm. Er hörte seine Mutter draußen schreien und toben, und er wollte der Krankenschwester sagen, sie solle seine Mutter nicht hereinlassen, aber so sehr er es auch versuchte – er brachte keinen Laut heraus.
»… er stirbt, will ich wissen!«, schrie seine Mutter.
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