Es: Roman
Kummer und Schmerz bringen. Ich weiß es!« Und das Schlimmste war, dass sie tatsächlich dieses Gefühl hatte; sie hatte es intuitiv erfasst, hatte es dem Denbrough-Jungen an den Augen abgelesen, diesem Jungen, der mit den Händen in den Hosentaschen vor ihr gestanden hatte, dessen rote Haare in der Sommersonne einer lodernden Flamme geglichen hatten. Seine Augen hatten einen so ernsten, sonderbar fernen Blick gehabt … genauso wie jetzt Eddies Augen.
Und hatte nicht auch er jene merkwürdige Aura ausgestrahlt, die jetzt von Eddie ausging? Nur in noch stärkerem Maße? Ja, das hatte er.
»Ma …«
Sie stand so abrupt auf, dass sie fast ihren Stuhl umgeworfen hätte. »Ich komme heute Abend wieder«, sagte sie. »Es ist der Schock, der Unfall, die Schmerzen – all diese Dinge sind es, die dich so reden lassen. Ich weiß es. Du … du …« Sie suchte in ihrem verwirrten Gehirn nach Worten und fand sie in ihrer ursprünglichen Litanei, an die sie sich jetzt klammerte wie eine Ertrinkende an eine im Wasser treibende Schiffsplanke. »Du hast einen schlimmen Unfall gehabt, aber es wird dir bald wieder gut gehen. Und du wirst sehen, dass ich recht habe, Eddie. Es sind schlechte Freunde. Sie sind nicht unsresgleichen. Sie sind nichts für dich. Denk darüber nach und frag dich, ob deine Mutter dir je etwas Falsches gesagt hat. Denk darüber nach und … und …«
Ich laufe ja davon!, dachte sie mit schmerzhaftem Schrecken. Ich laufe vor meinem eigenen Sohn davon! O Gott, bitte, das darfst du nicht zulassen!
»Ma.«
Sie durchquerte dessen ungeachtet sein Zimmer in wilder Hast. Sie hatte jetzt richtig Angst vor ihm; er war Eddie, aber er war zugleich mehr als das. Sie spürte die anderen in ihm, seine »Freunde«, und noch etwas anderes, etwas, was darüber hinausging, und davor hatte sie Angst. Es war so, als hätte etwas von ihm Besitz ergriffen, ein schlimmes Fieber vielleicht, so wie damals die Bronchitis, an der er fast gestorben wäre.
Die Hand auf der Türklinke, blieb sie doch noch stehen, obwohl sie nicht hören wollte, was er ihr vielleicht sagen würde … und als er es sagte, war es etwas so völlig Unerwartetes, dass sie es im ersten Moment gar nicht richtig verstand. Und als ihr dann zu Bewusstsein kam, was er gesagt hatte, war es so, als wäre ihr ein Sack Zement auf den Kopf gefallen, und sie fühlte sich einer Ohnmacht nahe.
Eddies Worte waren: »Mr. Keene sagte, meine Asthmamedizin bestehe nur aus Wasser.«
»Was? Was?« Sie starrte ihn mit verwirrten, wütenden Augen an.
»Nur aus Wasser, dem irgendwas zugefügt ist, damit es nach Medizin schmeckt. Er sagte, es sei ein Pla-ce-bo.«
»Das ist eine Lüge! Nichts als eine Lüge. Warum sollte Mr. Keene dir so eine Lüge erzählen? Na ja, es gibt auch noch andere Drugstores in Derry! Ich vermute …«
»Ich hatte Zeit, darüber nachzudenken«, sagte Eddie leise und unerbittlich, ohne sie aus den Augen zu lassen, »und ich glaube, dass er mir die Wahrheit gesagt hat.«
»Eddie, ich sage dir, das hat er nicht! « Sie geriet wieder in Panik.
»Ich glaube«, fuhr Eddie fort, »es ist die Wahrheit – sonst würde auf der Flasche nämlich irgendeine Warnung stehen, dass man sterben oder zumindest krank werden kann, wenn man das Zeug zu oft anwendet. Sogar …«
»Eddie, ich will das nicht hören! «, schrie sie und hielt sich die Ohren zu. »Du bist … du bist … du bist einfach nicht ganz bei dir, das ist es! «
»Sogar bei Sachen, die man ohne Rezept kaufen kann, stehen besondere Gebrauchsanleitungen drauf«, fuhr er fort, ohne die Stimme zu heben. Er schaute ihr fest in die Augen, und sie war außerstande, ihren Blick abzuwenden. »Sogar wenn es nur WICK-Hustensaft ist … oder dein Geritol.«
Er schwieg einen Augenblick. Sie nahm die Hände von den Ohren; ihre Arme fühlten sich bleischwer an, und sie hatte das Gefühl, sie nicht länger hochhalten zu können.
»Und … und du musst das die ganze Zeit über gewusst haben, Ma.«
»Eddie!«, kreischte sie.
»Du weißt nämlich über Arzneimittel Bescheid«, fuhr er fort, ohne sie zu beachten – er runzelte jetzt vor Konzentration die Stirn -, »und ich benutze dieses Spray fünf- oder auch sechsmal am Tag. Und das würdest du mir nie erlauben, wenn es mir … na ja, irgendwie schaden könnte. Das sagst du doch selbst immer. Also … hast du es gewusst, Ma? Hast du gewusst, dass es praktisch nur Wasser ist?«
Sie schwieg. Ihre Lippen zitterten. Sie hatte das Gefühl, als zitterte ihr
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