Es: Roman
keine Antwort gab. Sie dachte, er hätte sie nicht gehört. Sie hatte in all ihren Büchern zwar noch nie gelesen, dass ein Knochenbruch das Hörvermögen beeinträchtigen konnte, aber möglich war es vermutlich – alles war möglich.
Eddie antwortete noch immer nicht.
Sie trat näher an sein Bett heran und begriff nicht, warum sie sich plötzlich so unsicher, ja fast schüchtern fühlte; solche Gefühle hatte sie Eddie gegenüber doch noch nie gehabt. Gleichzeitig stieg leiser Ärger in ihr auf. Welches Recht hatte er, in ihr solche Gefühle wachzurufen, nach allem, was sie für ihn getan, was sie für ihn geopfert hatte?
»Ich habe mit Dr. Handor gesprochen, und er versicherte mir, dass du wieder hundertprozentig in Ordnung kommst«, sagte sie rasch, während sie auf dem Holzstuhl neben seinem Bett Platz nahm. »Wenn auch nur das geringste Problem auftaucht, werden wir allerdings selbstverständlich einen Spezialisten in Portland aufsuchen. Oder sogar in Boston, wenn es sein muss.« Sie lächelte huldvoll. Aber Eddie erwiderte ihr Lächeln nicht. Und er sagte immer noch nichts.
»Eddie, hörst du mich?«
»Du hast meine Freunde weggeschickt«, wiederholte er.
»Ja«, bestätigte sie, fügte aber nichts hinzu. Das Spiel konnten zwei spielen. Sie sah ihn nur an.
Und dann geschah etwas Sonderbares, etwas Schreckliches. Eddies Augen schienen irgendwie … irgendwie größer zu werden. Die Pupillen bewegten sich in diesen Augen wie dahin jagende Sturmwolken. Ihr wurde plötzlich klar, dass er nicht von irgendwelchen Medikamenten benommen war. Eddie war zornig auf sie … und plötzlich hatte Sonia Angst, denn etwas Stärkeres als nur ihr Sohn schien plötzlich im Zimmer zu sein. Sie senkte den Blick und machte die Handtasche auf. Sie kramte nach einem Kleenex.
»Ja, ich habe sie weggeschickt«, sagte sie und stellte fest, dass ihre Stimme kräftig und energisch klang … solange sie ihn nicht ansah. »Du bist ernsthaft verletzt, Eddie. Du kannst im Augenblick außer deiner Mutter keine Besucher gebrauchen, und solche Besucher kannst du überhaupt nicht gebrauchen. Wenn sie nicht gewesen wären, würdest du jetzt zu Hause gemütlich vor dem Fernseher sitzen oder in der Garage an deiner Seifenkiste basteln.«
Es war Eddies Traum, eine Seifenkiste zu bauen und mit nach Bangor zu nehmen. Wenn er dort siegte, bekam er einen Ausflug nach Akron, Ohio, bezahlt, wo er beim Nationalen Seifenkisten-Derby teilnehmen konnte. Sonia war durchaus bereit, ihm diesen Traum zu lassen, solange die Fertigstellung der Seifenkiste, die aus Orangenkisten und den Reifen eines Choo-Choo-Kinderwagens bestand, nichts weiter als ein Traum war. Sie hatte ganz gewiss nicht die Absicht zu dulden, dass Eddie sein Leben bei so einem gefährlichen Wettbewerb aufs Spiel setzte, weder in Derry noch in Bangor, und schon gar nicht in Akron, was (hatte Eddie ihr erklärt) nicht nur einen Flug beinhalten würde, sondern auch eine halsbrecherische Fahrt in einer Orangenkiste mit Rädern, aber ohne Bremsen, einen steilen Berg hinab. Aber, wie ihre eigene Mutter oft gesagt hatte, was einer nicht weiß, macht ihn nicht heiß (ihre Mutter hatte auch immer gesagt, kleine Sünden verzeiht der Herr, aber wenn es um Erinnerungen an Sinnsprüche ging, war Sonia, wie die meisten Menschen, bemerkenswert selektiv).
»Meine Freunde haben mir nicht den Arm gebrochen«, sagte Eddie mit jener tonlosen Stimme. »Ich habe es Dr. Handor gestern Abend erklärt und heute Morgen auch noch Mr. Nell, als er mich besuchte. Henry Bowers hat mir den Arm gebrochen. Einige andere Jungen waren dabei, aber getan hat es Henry. Es wäre nie passiert, wenn meine Freunde bei mir gewesen wären. Es ist nur passiert, weil ich allein war.«
Diese Bemerkung brachte Sonia Mrs. Van Pretts Kommentar in Erinnerung, es sei sicherer, Freunde zu haben, und sie geriet sofort in Wut. Herausfordernd warf sie den Kopf zurück. »Das spielt überhaupt keine Rolle, das weißt du selbst genau! Was glaubst du denn, Eddie? Glaubst du, dass deine Mutter total bekloppt ist? Natürlich weiß ich, dass Bowers dir den Arm gebrochen hat, aber ich weiß auch, warum. Dieser irische Polizist ist auch bei mir gewesen. Bowers hat dir den Arm gebrochen, weil du und deine sogenannten Freunde euch irgendwie mit ihm angelegt habt. Na, glaubst du, dass das auch passiert wäre, wenn du auf mich gehört und diesen Umgang gemieden hättest?«
»Nein – ich glaube, dann wäre etwas noch viel Schlimmeres passiert«,
Weitere Kostenlose Bücher