Es: Roman
erwiderte Eddie.
»Eddie, das meinst du doch nicht im Ernst?«
»O doch«, sagte er, und sie spürte die Kraft, die in Wellen von ihm ausging, die er ausströmte. »Bill und meine anderen Freunde werden wiederkommen, Ma. Das weiß ich. Und wenn sie kommen, wirst du kein Wort sagen. Sie werden mich besuchen, und du wirst kein Wort dagegen sagen. Sie sind meine Freunde, und ich lasse mir von dir nicht meine Freunde stehlen, nur weil du Angst hast, allein zu sein.«
Sie starrte ihn verblüfft und entsetzt an. Tränen traten ihr in die Augen, rollten über ihre Wangen und verschmierten den Puder. »So also redest du jetzt mit deiner Mutter«, schluchzte sie. »Vermutlich reden so deine sogenannten Freunde mit ihren Eltern. Und du hast es von ihnen gelernt.«
Ihre Tränen verliehen ihr Sicherheit. Wenn sie weinte, weinte normalerweise auch Eddie oder war zumindest den Tränen sehr nahe. Eine unfaire Waffe, würden manche Leute sagen, aber gab es so etwas wie unfaire Waffen überhaupt, wenn es darum ging, ihren Sohn zu beschützen? Sie war nicht dieser Meinung.
Sie blickte mit tränenüberströmtem Gesicht auf; sie fühlte sich traurig, beraubt und betrogen … aber gleichzeitig triumphierte sie bereits. Eddie würde eine solche Flut von Tränen und Leid nicht ertragen können. Dieser kalte, scharfe Blick würde aus seinen Augen verschwinden. Vielleicht würde er anfangen zu keuchen und nach Luft zu schnappen, und das würde – wie immer – das Zeichen dafür sein, dass der Kampf vorüber war, dass sie wieder einen Sieg errungen hatte … natürlich zu seinem Besten. Immer nur zu seinem Besten.
Sie war so fassungslos, immer noch jenen Ausdruck auf seinem Gesicht zu sehen – womöglich hatte er sich noch verstärkt -, dass sie sogar im Schluchzen innehielt. In seinem Gesicht stand auch Kummer geschrieben, aber sogar das war beängstigend, denn es war irgendwie der Kummer eines Erwachsenen, und jeder Gedanke an Eddie als erwachsenen Menschen ließ in ihrem Kopf einen kleinen Vogel in wilder Panik herumflattern. So fühlte sie sich jedes Mal, wenn sie sich fragte – was sie allerdings möglichst selten tat -, was aus ihr werden sollte, wenn Eddie größer wurde, wenn er sich weigerte, das Derry Business College oder die University of Maine in Orono oder die Husson in Bangor zu besuchen und jeden Abend nach Hause zu kommen, wenn er sich in ein Mädchen verlieben und heiraten würde. Wo ist dann der Platz für mich?, schrie bei solchen Überlegungen jener zu Tode geängstigte Vogel in ihrem Kopf. Wo wäre mein Platz in einem solchen Leben? Ich liebe dich, Eddie! Ich liebe dich! Ich sorge für dich, und ich liebe dich! Du kannst nicht kochen, du kannst dein Bett nicht selbst frisch beziehen, du kannst deine Unterwäsche nicht selbst waschen. Warum solltest du auch? Ich kann das alles für dich. Ich liebe dich nämlich!
Er sagte es jetzt selbst auch: »Ich liebe dich, Ma. Aber ich liebe auch meine Freunde. Ich glaube … ich glaube, du bringst dich selbst zum Weinen.«
»Eddie, du tust mir so furchtbar weh!«, flüsterte sie und begann wieder, wild zu schluchzen. Ein paar Tränen fielen auf sein blasses Gesicht, benetzten es. Und diesmal weinte sie nicht aus Berechnung. Auf ihre Weise war sie stark – sie hatte ihren Mann begraben, ohne zusammenzubrechen, sie hatte eine Stellung gefunden, obwohl der Arbeitsmarkt sehr ungünstig gewesen war, sie hatte ihren Sohn allein aufgezogen und, wenn nötig, für ihn gekämpft-, und dies waren ihre ersten echten Tränen seit Jahren, nicht Tränen, die von ihr als Waffe eingesetzt wurden; Tränen dieser Art hatte sie nicht mehr vergossen, seit Eddie mit fünf Jahren Bronchitis gehabt hatte, und sie überzeugt davon gewesen war, dass er sterben würde, so schrecklich war der Anblick gewesen, wie er glühend vor Fieber in seinem Bett lag und hustete und keuchte, bis er fast keine Luft mehr bekam. Sie weinte jetzt wegen dieses furchtbar erwachsenen, ihr so völlig fremden Gesichtsausdrucks. Sie hatte Angst um ihn, aber absurderweise hatte sie auch Angst vor ihm … sie hatte Angst vor jener Aura, die ihn zu umgeben schien … die ihr etwas abzuverlangen schien.
»Zwing mich nicht, zwischen dir und meinen Freunden zu wählen, Ma«, sagte Eddie. Seine Stimme klang rau, angespannt, aber immer noch fest. »Denn das ist nicht fair.«
»Es sind schlechte Freunde, Eddie!«, schrie sie völlig außer sich. »Ich weiß das, ich spüre das mit jeder Faser meines Herzens. Sie werden dir nur
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