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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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ganzes Gesicht. Sie weinte nicht mehr. Zum Weinen war ihre Panik jetzt viel zu groß.
    »Wenn du es nämlich gewusst hast «, sagte Eddie, immer noch mit gerunzelter Stirn, »wenn du es gewusst und mir nichts davon gesagt hast, so wüsste ich gern, warum. Ich kann mir manches erklären, aber nicht, warum meine Mutter mir weismachen will, dass Wasser Medizin ist … oder dass ich hier Asthma habe« – er deutete auf seine Brust -, »wenn ich es, wie Mr. Keene sagt, in Wirklichkeit nur hier oben habe.« Und er deutete auf seinen Kopf.
    Sie dachte einen Moment lang, sie würde ihm nun alles erklären. Wie sie geglaubt hatte, dass er damals mit fünf Jahren sterben würde, als er so furchtbar gehustet und Fieber gehabt hatte, und dass sie in diesem Fall bestimmt wahnsinnig geworden wäre, nachdem sie erst zwei Jahre zuvor ihren Mann Frank verloren hatte. Wie sie dann begriffen hatte, dass man sein Kind nur durch Vorsicht und Liebe beschützen konnte, dass man ein Kind sorgfältig hegen musste – ähnlich wie einen Garten, den man hegt, düngt, von Unkraut befreit und manchmal auch zurückschneidet oder ausdünnt, so sehr es auch schmerzen kann. Sie würde Eddie erklären, dass es für ein Kind – besonders für ein zartes Kind wie ihn – manchmal besser war zu glauben, er wäre krank, als wirklich krank zu werden. Und zuletzt würde sie ihm von den ungeheuer törichten Ärzten und von der wunderbaren Macht der Liebe erzählen; sie würde ihm sagen, sie wisse, dass er Asthma habe, ganz egal, was die Ärzte behaupteten oder ihm verschrieben; Medizin ließ sich auch anders herstellen als mit einem albernen Apothekermörser. Eddie, würde sie sagen, es ist Medizin, weil die Liebe deiner Mutter es zu Medizin macht, und ich kann das vollbringen, solange du es willst und es mich tun lässt. Dies ist eine Macht, die Gott liebenden, aufopfernden Müttern verleiht. Bitte, du musst mir glauben.
    Doch dann schwieg sie doch einfach, weil ihre Angst zu groß war.
    »Aber vielleicht müssen wir gar nicht darüber reden«, fuhr Eddie fort. »Vielleicht wollte Mr. Keene mich nur aufziehen. Erwachsene tun so etwas manchmal … weißt du, Kindern einen Streich spielen. Weil Kinder fast alles glauben. Es ist böse, so was mit Kindern zu machen, aber manchmal tun Erwachsene es trotzdem.«
    »O ja«, stimmte Sonia Kaspbrak eifrig zu. »Sie machen gern dumme Scherze, und manchmal sind sie gemein … und bösartig … und … und …«
    »Ich werde also nach Bill und meinen anderen Freunden Ausschau halten«, sagte Eddie, »und meine Asthmamedizin auch weiterhin nehmen. Das ist vermutlich am besten, glaubst du nicht auch?«
    Sie erkannte erst jetzt, als es schon zu spät war, in welch geschickte – grausame! – Mausefalle er sie gelockt hatte. Was er da machte, war fast schon Erpressung, aber hatte sie noch eine Wahl? Sie wollte ihn fragen, wie er nur so berechnend, so manipulierend gegenüber seiner eigenen Mutter sein konnte. Sie öffnete schon den Mund, um es zu sagen … und dann schloss sie ihn wieder. Es wäre immerhin möglich, dass er ihr die gleiche Frage stellen würde.
    Das Einzige, was sie sicher wusste, war, dass sie in ihrem ganzen Leben nie, nie, nie wieder jemals einen Fuß in Mr. Naseweis Keenes Drugstore setzen würde.
    Seine auf einmal wieder sehr schüchterne Stimme unterbrach ihre Gedankengänge. »Ma?«
    Sie blickte auf und sah, dass er wieder Eddie war, nur Eddie und sonst niemand, und sie ging überglücklich zu ihm.
    »Kann ich einen Kuss bekommen, Ma?«
    Sie umarmte und küsste ihn, aber sehr vorsichtig, um nicht an seinen gebrochenen Arm zu stoßen und ihm wehzutun (oder lose Knochensplitter in Gang zu setzen, die dann durch den Blutkreislauf in sein Herz gelangen würden – welche Mutter wollte schon ihren Sohn durch Liebe töten?), und auch Eddie umarmte und küsste sie.

7
     
    Sie ging gerade noch rechtzeitig – Eddie hatte während der schrecklichen Auseinandersetzung mit ihr die ganze Zeit schon gespürt, wie sich sein Atem in seiner Lunge und in seiner Kehle bewegungslos staute und ihn zu vergiften drohte.
    Er wartete, bis die Tür hinter ihr ins Schloss gefallen war, dann begann er zu keuchen und zu röcheln. Die verbrauchte, bittere Luft stieß in seiner engen Kehle auf und ab wie ein warmer Schürhaken. Er griff hastig nach seinem Asthma-Spray, ohne auf die Schmerzen in seinem gebrochenen Arm zu achten, und inhalierte. Er atmete den Kampfergeschmack tief ein und dachte: Es spielt keine Rolle, dass es

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