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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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sie das nannte. Amseln flogen zusammen mit anderen Amseln, nicht mit Rotkehlchen. Grackeln nisteten mit Grackeln; sie paarten sich nicht mit Hüttensängern oder Nachtigallen. Jedem das Seine, war ihr Motto; und als sie sah, wie Mike Hanlon zusammen mit den anderen angeradelt kam, so als gehörte er dorthin, wuchsen ihre Entschlossenheit ebenso wie ihre Betroffenheit und Zorn nur noch mehr. Sie dachte vorwurfsvoll, so als könnte Eddie sie hören: Du hast mir nie erzählt, dass einer deiner »Freunde« ein Nigger ist.
    Na, dachte sie, als sie zwanzig Minuten später das Krankenzimmer betrat, in dem ihr Sohn vor sich hin döste, den riesigen Gipsarm in einer Schlinge (schon dieser Anblick allein tat ihr weh), denen hatte sie es aber ordentlich gezeigt; die waren schnell wieder verschwunden. Und nur der Denbrough-Junge, der so fürchterlich stotterte, hatte die Frechheit besessen, ihr zu widersprechen. Das Mädchen, wer immer es auch gewesen sein mochte, hatte Sonia zwar mit seinen entschieden flittchenhaften Jadeaugen wild angeblitzt, aber wohlweislich den Mund gehalten. Die kommt bestimmt aus der Lower Main Street oder aus einer noch übleren Wohngegend, hatte Sonia gedacht, und wenn sie es gewagt hätte, auch nur einen Piep von sich zu geben, so hätte Sonia ihr ordentlich die Meinung gesagt, ihr erklärt, welche Sorte von Mädchen mit Jungs herumlaufe. Es gab gewisse Namen für solche Mädchen, und Mrs. Kaspbrak würde nie zulassen, dass ihr Sohn sich mit solchen Schlampen abgab, weder heute noch morgen noch sonstwann.
    Die anderen waren nur verlegen von einem Bein aufs andere getappt und hatten zu Boden geblickt. Als sie ihnen alles gesagt hatte, was zu sagen war, waren sie auf ihre Räder gestiegen und weggefahren. Der Denbrough-Junge hatte den frechen kleinen Tozier auf dem Gepäckträger seines riesigen, gefährlich aussehenden Fahrrads mitgenommen, und Mrs. Kaspbrak hatte sich schaudernd gefragt, wie oft wohl ihr Eddie auf diesem Rad gesessen und riskiert hatte, sich Arme und Beine und den Hals zu brechen und ums Leben zu kommen.
    Ich habe es für dich getan, Eddie, hatte sie gedacht, als sie hocherhobenen Hauptes das Krankenhaus betreten hatte. Ich weiß, dass du zuerst vielleicht ein bisschen enttäuscht sein wirst; das ist ganz natürlich. Aber Eltern wissen es besser als ihre Kinder; Gott hat Eltern in erster Linie dazu geschaffen, um Kinder zu lenken und zu lehren … und zu beschützen. Sobald Eddie seine anfängliche Enttäuschung überwunden hatte, würde er das begreifen. Und wenn sie selbst sich jetzt erleichtert fühlte, so natürlich nur, weil sie zu Eddies Bestem gehandelt hatte, nicht zu ihrem Besten. Sie war erleichtert, weil sie glaubte, ihren Sohn von üblen und gefährlichen Freunden befreit zu haben.
    Doch ihre Erleichterung wurde von großem Unbehagen abgelöst, als sie Eddies Gesicht sah. Er hatte nicht geschlafen, wie sie es erwartet hatte. Statt aus einem von Medikamenten hervorgerufenen Dämmerzustand zu erwachen – unorientiert, beduselt und psychologisch beeinflussbar -, war da dieser scharfe, wachsame Ausdruck, der so ganz anders war als Eddies normalerweise weiches und schüchternes Gesicht. Wie auch Ben Hanscom (obwohl Sonia das nicht wusste), so gehörte Eddie zu jenen Jungen, die rasch einen forschenden Blick auf jemanden warfen, als wollten sie das emotionale Wetter vom Gesicht ablesen, und die dann sofort wieder wegschauten. Aber jetzt sah Eddie sie unverwandt an ( vielleicht sind es die Medikamente, dachte sie, natürlich, das ist es; ich werde mit Dr. Handor über die Medikamente reden müssen), und schließlich musste sie den Blick abwenden. Er sieht aus, als hätte er auf mich gewartet, dachte sie, ein Gedanke, der sie glücklich machen sollte – ein Junge, der auf seine Mutter wartete, war ganz gewiss eines von Gottes gesegnetsten Geschöpfen …
    »Du hast meine Freunde weggeschickt.« Er redete mit leiser, aber fester Stimme. Es war eine Feststellung, keine Frage.
    Sie zuckte schuldbewusst zusammen, und als Erstes schoss ihr durch den Kopf – Woher weiß er das? Das kann er doch gar nicht wissen! -, aber schon im nächsten Moment ärgerte sie sich über dieses leichte Schuldbewusstsein. Sie lächelte ihm zu.
    »Wie fühlst du dich heute, Eddie?«
    Das war die richtige Erwiderung. Jemand – vielleicht sogar diese unfähige und aufsässige Krankenschwester vom Vortag – musste es ihm erzählt haben. Jemand …
    »Wie fühlst du dich?«, fragte sie noch einmal, als er

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