Es: Roman
Mutter ihn daran, die schon seit Jahren tot war, aber immer noch häufig zu ihm sprach.
Du weißt, dass du dich immer erkältest, wenn du nasse Füße bekommst, Eddie – du bist nicht wie andere Leute, du hast ein sehr schwaches Immunsystem, du musst sehr vorsichtig sein. Deshalb musst du auch immer Gummischuhe anziehen, wenn es regnet.
Es regnete sehr oft in Derry.
Eddie öffnete den Flurschrank, nahm seine Gummischuhe, die ordentlich in einem Plastikbeutel aufbewahrt wurden, vom Haken und legte sie in den Koffer.
Du bist ein braver Junge, Eddie.
Er und Myra hatten ferngesehen, als der Blitz ihn aus heiterem Himmel getroffen hatte. Eddie war ins Wohnzimmer gegangen und hatte den Knopf gedrückt, der den Bildschirm des MuralVision-Fernsehgeräts absenkte – der nebenbei bemerkt so groß war, dass der Footballspieler Freeman McNeil darin an Sonntagnachmittagen wie ein Riese aus Brobdingnag aussah. Er war zum Telefon gegangen, hatte den Hörer abgenommen und ein Taxi bestellt. Jemand aus der Zentrale sagte ihm, es würde in etwa einer Viertelstunde bei ihm sein. Eddie erwiderte, dass das kein Problem sei.
Er legte den Hörer auf, griff nach seinem Asthma-Spray, das auf dem sehr teuren CD-Spieler von Sony lag. Ich habe fünfzehnhundert Mücken für ein hypermodernes Soundsystem ausgegeben, damit Myra ihre Barry-Manilow-Alben und die »Supremes Greatest Hits« in vollendeter Klangqualität hören kann, dachte er und verspürte im selben Moment ein Schuldgefühl. Das war nicht fair, und das wusste er auch verdammt gut. Myra wäre auch mit ihren alten, zerkratzten Schallplatten genauso glücklich gewesen wie jetzt mit den CDs, und sie wäre auch zufrieden gewesen, mit Eddie zusammen in dem kleinen Vierzimmerhaus in Queens zu leben, bis beide alt und grau sein würden (und um ehrlich zu sein, lag da schon ein wenig Schnee auf den Haaren von Eddie Kaspbraks Berg von einer Ehefrau). Er hatte das Luxus-Soundsystem aus dem gleichen Grund gekauft wie dieses flache Feldsteinhaus auf Long Island, in dem die beiden nun so verloren wie die letzten zwei Erbsen in einer Dose wirkten – weil er es sich leisten konnte, und weil es seine Art war, die weiche, erschrockene, oft verblüffte, aber immer unerbittliche Stimme seiner Mutter zu besänftigen und ihr zu sagen: Sieh her, Ma, sieh dich nur um, ich hab’s geschafft! Würdest du jetzt also bitte für eine Weile den Mund halten?
Eddie nahm das Asthma-Spray in den Mund und drückte – wie ein Mann, der Selbstmord begeht – auf den Pumpmechanismus. Eine Wolke aus schrecklichem Lakritzgeschmack arbeitete sich seine Kehle herunter, und Eddie atmete tief ein. Er konnte spüren, wie sich Teile seines Atemweges, die eben noch wie zugeschnürt waren, nun langsam wieder öffneten. Die Enge in seiner Brust wurde etwas schwächer, und plötzlich hörte er Stimmen, wahnwitzige Geisterstimmen.
Haben Sie meinen Brief nicht erhalten?
Doch, Mrs. Kaspbrak, aber …
Nun, Mr. Black, für den Fall, dass Sie nicht lesen können, möchte ich es noch einmal persönlich für Sie wiederholen. Sind Sie bereit?
Mrs. Kaspbrak …
Hören Sie jetzt mal aufmerksam zu: Mein Eddie kann nicht am Sportunterricht teilnehmen. Ich wiederhole – er kann NICHT am Sportunterricht teilnehmen. Eddie ist sehr zart, und wenn er rennt … oder springt …
Mrs. Kaspbrak, ich habe die Befunde von Eddies letzter Schuluntersuchung im Büro – Sie wissen ja, diese Untersuchungen sind gesetzlich vorgeschrieben. Im Befund heißt es, dass Eddie für sein Alter ein bisschen klein ist, dass ihm aber ansonsten nichts fehlt. Um ganz sicherzugehen, habe ich noch Ihren Hausarzt angerufen, und er hat mir bestätigt …
Wollen Sie mich etwa als Lügnerin hinstellen, Mr. Black? Ist es das? Nun, Eddie steht hier, direkt neben mir! Hören Sie, wie er atmet? HÖREN Sie es?
Mama … bitte … mir geht’s gut …
Eddie, du weißt doch, dass man Erwachsene nicht unterbricht. Das habe ich dir doch beigebracht!
Ich höre es, Mrs. Kaspbrak, aber …
Aha, Sie hören es! Ausgezeichnet! Ich dachte schon, Sie wären taub! Er hört sich an wie ein Lastwagen, der langsam einen Berg hochkeucht. Stimmt’s? Und wenn das kein Asthma ist …
Mama, ich …
Sei still, Eddie, unterbrich mich nicht schon wieder! Wenn das kein Asthma ist, Mr. Black, dann bin ich Queen Elisabeth!
Mrs. Kaspbrak, Eddie fühlt sich im Sportunterricht meistens sehr wohl und ist glücklich. Er spielt gern alle möglichen Spiele, und er kann auch ziemlich schnell
Weitere Kostenlose Bücher