Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
gab keine Antwort. Sein einziges tief eingesunkenes Auge starrte auf die Straße. Es verursachte Henry Übelkeit, durch das Loch in Belchs Wange seine schwarzen Zähne zu sehen. Er nahm undeutlich wahr, dass der gute alte Belch einen überreifen Geruch verströmte. Er stank, ehrlich gesagt, wie ein Korb verdorbener Tomaten.
    Das Handschuhfach flog auf, und im Schein der kleinen Glühbirne im Inneren sah er eine halb volle Flasche Texas Driver. Er holte sie mit blutverkrusteter Hand heraus, öffnete sie und trank einen ordentlichen Schluck. Der Schnaps rann ihm durch die Kehle wie kühle Seide und brannte in seinem Magen wie heiße Lava. Er schüttelte sich stöhnend … und danach fühlte er sich etwas besser, wieder etwas stärker mit der Welt verbunden.
    »Danke«, sagte er.
    Belch drehte ihm den Kopf zu – Henry konnte dabei die Sehnen in Belchs Nacken quietschen hören wie rostige Türangeln. Belch betrachtete ihn einen Moment lang mit seinem einzelnen starren Totenauge, und Henry sah erst jetzt, dass der größte Teil seiner Nase fehlte, so als hätte sie ihm jemand abgenagt. Vielleicht ein Hund. Oder Ratten. Ratten waren eigentlich wahrscheinlicher. In den Kanälen, in die sie die kleineren Kinder an jenem Tag gejagt hatten, hatte es von Ratten nur so gewimmelt.
    Langsam drehte Belch seinen Kopf wieder nach vorn, worüber Henry sehr froh war. Belchs starrer Blick war schwer zu ertragen gewesen, auch wenn er den Ausdruck in dem einzelnen tief in die Höhle eingesunkenen Auge nicht so recht deuten konnte. Vorwurf? Zorn? Oder was sonst?
    Hinter dem Steuer dieses Wagens sitzt ein toter Junge.
    Henry stellte fest, dass er eine Gänsehaut auf den Armen hatte. Rasch trank er noch einen Schluck aus der Flasche. Eine angenehme Wärme breitete sich in seinem Körper aus.
    Der Plymouth rollte den Up-Mile Hill hinab und über die große Kreuzung mit Kreisverkehr – nur herrschte um diese Nachtzeit kein Verkehr; alle Ampeln blinkten gelb und tauchten die umliegenden Gebäude und Straßen in pulsierendes Licht. Es war so still, dass Henry die Relais im Inneren der Ampeln klicken hören konnte … oder bildete er sich das nur ein?
    »Ich hatte nicht vor, dich an jenem Tag im Stich zu lassen, Belch«, sagte er.
    Wieder das Quietschen ausgetrockneter Sehnen. Wieder starrte Belch ihn mit seinem einzelnen Auge an. Seine Lippen verzogen sich zu einem schrecklichen Grinsen, das grauschwarzes Zahnfleisch entblößte, auf dem sich ganze Schimmelkulturen angesiedelt hatten. Was für eine Art von Grinsen ist das?, fragte sich Henry, während das Auto die Main Street hinab an Freese’s auf der einen Seite, Nan’s Luncheonette und dem Aladdin auf der anderen Seite vorbeifuhr. Ist es ein verzeihendes Grinsen? Das Grinsen eines alten Freundes? Oder will es besagen: »Dir werde ich’s noch geben, Henry. Ich werde mich dafür rächen, dass du mich und Vic im Stich gelassen hast«? Was für eine Art von Grinsen ist es?
    »Du musst verstehen, wie es gewesen ist«, sagte Henry und verstummte gleich wieder. Wie war es denn gewesen? Ihm schwirrte der Kopf, und die Ereignisse gerieten durcheinander wie die Einzelteile eines Puzzles, das gerade auf einen der Kartentische im Freizeitraum von Juniper Hill ausgeschüttet worden war. Wie war das alles noch gewesen? Sie waren dem Fettkloß und dem Luder fast bis zur Kansas Street gefolgt und hatten dann in den Büschen abgewartet, während die beiden die Böschung zur Straße hochgeklettert waren. Wenn sie außer Sichtweite verschwunden wären, hätten er, Vic und Belch das Versteckspiel aufgegeben und wären den beiden einfach nachgerannt; zwei wären immerhin besser als keiner gewesen, und den Rest hätten sie sich dann eben später geschnappt.
    Aber sie waren nicht verschwunden. Sie hatten sich ans Geländer gelehnt, sich unterhalten und die Straße beobachtet. Ab und zu hatten sie einen Blick nach unten in die Barrens geworfen, doch Henry hatte dafür gesorgt, dass seine Soldaten und er nicht zu sehen waren.
    Ihm fiel jetzt wieder ein, dass der Himmel sich von Osten her allmählich zugezogen hatte; Regen hatte in der Luft gelegen.
    Was war dann als Nächstes passiert? Was …
    Eine knochige, lederige Hand packte ihn am Unterarm, und Henry schrie auf. Er war nahe dran gewesen, wieder in jene wolkenweiche Grauzone zu gleiten, aber Belchs schrecklicher Griff und der vom Schreien bohrende Schmerz in seinem Bauch brachten ihn wieder zu sich. Er drehte sich um, und Belchs Gesicht war nicht einmal

Weitere Kostenlose Bücher