Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
R-Richie?«
    »Ich hab welche«, sagte Beverly. Bill spürte, wie sie im Dunkel seine Hand berührte und ihm ein Streichholzheftchen gab. »Es sind nur acht oder zehn. Aber Ben hat noch mehr. Aus dem Hotelzimmer.«
    Bill sagte: »H-Hast du sie wieder unter der A-A-Achsel gehabt, B-Bev?«
    »Diesmal nicht, Bill«, sagte sie und legte in der Dunkelheit die Arme um ihn. Er drückte sie fest an sich, mit geschlossenen Augen, und hoffte, dass ihre Nähe ihm den Trost spenden würde, den sie ihm so verzweifelt zukommen lassen wollte.
    Er ließ sie sanft los und zündete ein Streichholz an. Die Macht der Erinnerung war gewaltig – unwillkürlich blickten sie alle sofort nach rechts. Die Überreste von Patricks Hockstetters Leiche waren noch da. Sie lagen inmitten einiger überwachsener klumpiger Dinge, die einmal Bücher gewesen sein konnten. Das einzig deutlich Erkennbare war ein Halbkreis herausragender Zähne, von denen zwei oder drei Füllungen hatten.
    Und dicht daneben etwas anderes. Ein schimmernder Kreis, im flackernden Licht des Streichholzes kaum zu sehen.
    Bill schüttelte das Streichholz aus und zündete ein neues an. Er hob den Gegenstand auf. »Audras Ehering«, sagte er mit hohler, ausdrucksloser Stimme.
    Das Streichholz in seinen Fingern erlosch.
    In der Dunkelheit streifte er den Ring über seinen Finger.
    »Bill?«, sagte Richie zögernd. »Hast du eine Ahnung

6
     
    In den Tunneln, 14.20 Uhr
     
    wie lange sie jetzt schon durch die Tunnel unter Derry wanderten, seit sie die Stelle mit Patrick Hockstetters Leiche verlassen hatten, aber Bill war sich ganz sicher, dass er den Weg zurück nie finden würde. Er musste immerzu daran denken, was sein Vater gesagt hatte: Du kannst da wochenlang herumwandern. Wenn Eddies Orientierungssinn sie jetzt im Stich ließ, würde Es sie nicht einmal umbringen müssen – sie würden in der Kanalisationsanlage umherirren, bis sie starben – oder sie würden, wenn sie in die falschen Rohre gerieten, wie Ratten in einer Regentonne ertrinken.
    Aber Eddie schien kein bisschen besorgt zu sein. Ab und zu bat er Bill, eines der Streichhölzer aus ihrem schon sehr zusammengeschrumpften Vorrat anzuzünden, und sah sich aufmerksam um, ehe er weiterging. Man konnte fast den Eindruck gewinnen, als böge er völlig aufs Geratewohl nach links oder rechts ab. Manchmal waren die Rohre so groß, dass Bill die Decke nicht einmal mit ausgestrecktem Arm erreichen konnte. Manchmal mussten sie kriechen, und einmal mussten sie sich – Eddie an der Spitze – fünf schreckliche Minuten lang (die ihnen wie fünf Stunden vorkamen) flach auf den Bäuchen vorwärtsrobben wie Würmer, wobei ihre Nasen fast an die Absätze ihres Vordermannes stießen.
    Bill war sich nur einer Sache völlig sicher: dass sie irgendwie in einen Teil der Kanalisation von Derry gelangt waren, der nicht mehr in Gebrauch war. Sämtliche aktiven Rohre lagen entweder weit hinter ihnen oder weit über ihnen. Das Brausen der Abwässer war jetzt nur noch als ferner leiser Donner zu hören. Die Rohre hier waren älter, nicht aus gebrannter Keramik, sondern aus einem bröckeligen lehmartigen Material, aus dem hin und wieder eine unangenehm riechende Flüssigkeit sickerte. Die Gerüche nach menschlichem Kot und Abfall – jene reifen Gasgerüche, die sie zu ersticken gedroht hatten – waren hier kaum noch wahrnehmbar, aber dafür herrschte ein anderer Geruch, ein abgestandener, gleichsam vergilbter Geruch, der in gewisser Weise noch schlimmer war.
    Es war ein Geruch, den Ben mit der Mumie und Eddie mit dem Aussätzigen in Verbindung brachte. Richie dachte bei diesem Geruch an die älteste Flanelljacke der Welt, die inzwischen verschimmelt und vermodert war – die Jacke eines Holzfällers. Eine riesige Jacke, groß genug für eine Gestalt wie Paul Bunyan. Beverly wurde durch diesen Geruch an die Sockenschublade ihres Vaters erinnert. In Stan Uris rief der Geruch eine schreckliche Erinnerung aus frühester Kindheit hervor – eine spezifisch jüdische Erinnerung, was bei einem Jungen, der nur äußerst vage Vorstellungen von seinem Judentum hatte, sehr merkwürdig war. Der Geruch war für ihn eine Mischung aus Lehm und Öl und ließ ihn an ein augenloses, mundloses mythisches Wesen namens Golem denken, einen aus Lehm geformten Menschen, den verfolgte Juden im Mittelalter angeblich geschaffen und zum Leben erweckt hatten, um sich vor den goyim zu schützen, die sie beraubten, ihre Frauen vergewaltigten und sie dann vertrieben. Mike

Weitere Kostenlose Bücher