Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
Vom Netzwerk:
Moment kehrte sein Kinderglaube an diese Medizin wieder zurück, an die Medizin seiner Kindheit, die in allen Lebenslagen helfen konnte, die ihn sich besser fühlen ließ, wenn die größeren Jungen ihn verprügelt hatten, oder wenn er nach Schulschluss beim Ansturm auf die Schultür über den Haufen gerannt worden war, oder wenn er vom Spiel ausgeschlossen am Rande des leeren Parkplatzes der Tracker Brothers sitzen musste, weil seine Mutter ihm das Baseballspielen verboten hatte. Es war gute Medizin, starke Medizin, und während er der Spinne ins Gesicht sprang, ihren Fäulnisgestank roch und von ihrer zielstrebigen Wut und Entschlossenheit, sie alle umzubringen, fast überwältigt wurde, pumpte er mit seinem Asthma-Spray genau in eines ihrer Augen.
    Er fühlte/hörte ihren Schrei – diesmal keine Wut, sondern nur Schmerz, ein fürchterlicher schreiender Schmerz. Er sah, wie sich die vernebelten Spraytropfen auf diesem riesigen blutroten Auge verteilten, wie sie weiß wurden und einsanken wie ein Schwall Karbolsäure sich einbrennen würde; er sah das große Auge flach werden wie einen blutigen Eidotter, sah es in einem unheimlichen Strom von lebendigem Blut und Wundflüssigkeit und madenartigem Eiter auslaufen.
    »Komm jetzt nach Hause, Bill!«, rief er, obwohl er kaum noch Luft bekam, und dann prallte er gegen die Spinne, und er spürte, wie ihre widerliche Hitze ihn durchflutete; er spürte eine schreckliche nasse Wärme und stellte fest, dass sein heiler Arm in das Maul der Spinne geraten war.
    Er drückte wieder auf sein Asthma-Spray, schoss ihr seine Medizin diesmal direkt in die Kehle, direkt in ihren verrotteten, bösen, stinkenden Schlund, und dann durchzuckte ihn ein plötzlich aufblitzender Schmerz, als ihr Kiefer zuschnappte und ihm, so sauber wie ein schweres Messer, den Arm dicht unter dem Schulteransatz abbiss.
    Eddie fiel zu Boden, und aus dem zerfetzten Armstumpf spritzte Blut; er nahm verschwommen wahr, dass Bill taumelnd auf die Beine kam, dass Richie auf ihn zutorkelte wie ein Betrunkener nach einem ausgedehnten nächtlichen Zechgelage.
    »… Eds …«
    Weit weg. Unwichtig. Er fühlte, wie zusammen mit seinem Lebenssaft auch alles andere aus ihm herausrann – Zorn und Schmerz und Angst und Verwirrung und Verletzung. Er vermutete, dass er im Sterben lag, aber er fühlte sich so … ah, lieber Gott, er fühlte sich so hell und klar wie eine frisch geputzte Fensterscheibe, durch die nun ungehindert das ganze prachtvoll beängstigende Licht eines unvermuteten Sonnenaufgangs einfallen konnte; das Licht, o Gott, dieses perfekt klare Licht, das in jeder Sekunde irgendwo auf der Welt den Horizont erhellt.
    »… Eds o mein Gott Bill Ben er hat seinen Arm verloren, er hat …«
    Er schaute zu Beverly auf und sah, dass sie weinte, dass Tränen ihr über die schmutzigen Wangen rollten, während sie einen Arm unter Eddie geschoben hatte. Er nahm wahr, dass sie ihre Bluse ausgezogen hatte, dass sie versuchte, damit den Blutstrom zum Stillstand zu bringen, dass sie um Hilfe rief. Dann sah er Richie an und leckte sich die Lippen. Verblasste, verblasste immer mehr. Wurde klarer und klarer, wurde leer, alles Unreine strömte aus ihm aus, damit er klar werden konnte, sodass das Licht ihn durchströmen konnte, und hätte er Zeit genug gehabt, hätte er darüber gesprochen, hätte er darüber predigen können: Nicht schlimm, hätte er angefangen. Es ist überhaupt nicht schlimm. Aber da war noch etwas, was er zuerst sagen musste.
    »Richie«, flüsterte er.
    »Was?« Richie war auf Händen und Knien und sah ihn verzweifelt an.
    »Nenn mich nicht Eds«, sagte er und lächelte. Er hob langsam die linke Hand und berührte Richies Wange. Richie weinte. »Du weißt, dass ich … ich …« Eddie schloss die Augen und überlegte, wie er den Satz beenden würde, und während er noch darüber nachdachte, starb er.

6
     
    Derry, 7.00 Uhr bis 9.00 Uhr
     
    Um 7 Uhr war die Geschwindigkeit des Westwindes, der durch Derry fegte, auf etwa sechzig Kilometer pro Stunde angestiegen, und bei plötzlichen Böen betrug sie sogar siebzig Kilometer pro Stunde. Harry Brooks, ein Meteorologe vom Nationalen Wetterdienst, der am Internationalen Flughafen von Bangor Dienst tat, gab eine alarmierende telefonische Mitteilung an die Zentrale des Nationalen Wetterdienstes in Augusta durch. Er erklärte, die Winde kämen von Westen und bewegten sich in eigenartiger halbkreisförmiger Richtung, was er noch nie zuvor gesehen habe … aber für

Weitere Kostenlose Bücher