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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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die alten Gleichungen verschwunden.«
    Er trank den Rest seines Saftes. »Vor wenigen Minuten habe ich gestottert. Bei dem Wort ›fragen‹. Ich glaube, es war das erste Mal seit einundzwanzig Jahren, dass ich gestottert habe.«
    Er sah sie an.
    »Die Narben und jetzt das St-Stottern. H-Hörst du es?«
    »Das machst du jetzt absichtlich!«, rief sie. Sie hatte plötzlich schreckliche Angst.
    »Nein«, sagte er. »Ich schätze, man kann es niemandem begreiflich machen, aber es ist die Wahrheit. Stottern ist seltsam, Audra. Gruselig. Auf eine gewisse Weise merkt man nicht mal, dass es passiert. Aber … man kann es trotzdem schon hören, bevor es herauskommt. Es ist wie ein leises vorauseilendes Echo im Kopf.«
    Er stand auf und ging unruhig im Zimmer hin und her. Er sah erschöpft aus, und sie dachte mit Unbehagen daran, wie hart er in den letzten dreizehn Jahren gearbeitet hatte, als könnte er sein – wie er glaubte – bescheidenes Talent, das nur im Geschichtenerzählen bestand, irgendwie rechtfertigen oder steigern, indem er unermüdlich arbeitete. Sie fragte sich beunruhigt, ob der Anrufer von vorhin vielleicht Ralph Foster gewesen war, der Bill zu einem Bier in die Kneipe eingeladen hatte, oder vielleicht auch Freddie Firestone, der Produzent von Das Dachzimmer, oder vielleicht sogar jemand, der falsch verbunden gewesen war.
    Sie fragte sich, was die Konsequenz aus diesen Vermutungen war.
    Na ja, dass diese ganze Derry-Mike-Sache vielleicht nur eine Halluzination von ihm war, der Beginn eines Nervenzusammenbruchs.
    Aber die Narben, Audra – wie erklärst du dir dann die Narben? Er hat recht – sie waren vorher nicht da. Und das weißt du selbst.
    »Erzähl mir auch den Rest«, sagte sie. »Wer hat deinen Bruder George ermordet? Was haben die anderen Kinder und du getan? Was habt ihr versprochen?«
    Er ging zu ihr, kniete sich ihn, als wollte er sie auf ganz altmodische Art bitten, ihn zu heiraten, und nahm ihre Hände.
    »Ich glaube, ich könnte es dir erzählen«, sagte er leise. »Ich glaube, wenn ich wirklich wollte, könnte ich es. An das meiste kann ich mich auch jetzt nicht erinnern, aber wenn ich anfangen würde zu reden, würde es mir einfallen. Ich kann die Erinnerungen spüren … sie warten nur darauf, geboren zu werden. Sie sind wie Wolken voll Regen. Nur dürfte dieser Regen ziemlich schmutzig sein. Die Pflanzen, die nach so einem Regen wachsen, würden Monster werden. Vielleicht kann ich mich dem zusammen mit den anderen stellen …«
    »Wissen sie es?«
    »Mike hat sie alle angerufen«, erklärte er. »Er sagte, er glaube, dass sie alle kommen würden, vielleicht mit Ausnahme von Stanley. Er sagte, Stanley habe sich … sonderbar angehört.«
    »Für mich hört sich das alles sehr sonderbar an«, sagte sie. »Du jagst mir schreckliche Angst ein, Bill.«
    »Das tut mir leid, Liebling«, sagte er und küsste sie. Aber es war so, als würde sie von einem Fremden geküsst. Sie ertappte sich dabei, dass sie Mike Hanlon hasste. Sie hatte ihn nie gesehen, aber sie hasste ihn. »Ich hielt es für besser, dir zu erklären, so viel ich konnte. Besser, als sich einfach aus dem Staub zu machen, wie es vermutlich einige der anderen tun werden. Aber ich muss hin. Ich glaube, dass auch Stanley kommen wird, ob er sich nun sonderbar angehört hat oder nicht. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, nicht hinzufahren.«
    »Wegen deines Bruders?«
    Bill schüttelte langsam den Kopf. »Ich könnte dir zustimmen, aber es wäre eine Lüge. Ich liebte ihn. Ich weiß, wie merkwürdig sich das anhören muss, nachdem ich dir erzählt habe, dass ich seit zwanzig Jahren oder länger nicht mehr an ihn gedacht habe, aber ich liebte dieses Kerlchen wahnsinnig. « Er lächelte verhalten. »Er war Spastiker, aber ich habe ihn geliebt. Verstehst du?«
    Audra, die eine jüngere Schwester hatte, nickte. »Ich verstehe.«
    »Aber es ist nicht wegen George. Ich kann nicht erklären was es ist. Ich …!«
    Er blickte in den Morgennebel hinaus.
    »Ich fühle mich so, wie sich ein Vogel fühlen muss, wenn es Herbst wird, und wenn er spürt … irgendwie spürt …, dass er heimfliegen muss. Das ist Instinkt, Baby … und ich glaube, Instinkt ist das eiserne Gerippe unter unseren Vorstellungen von freiem Willen. Wenn man nicht bereit ist, sich ein Gewehr an den Kopf zu halten oder einen langen Spaziergang von einem kurzen Steg zu machen, kann man zu bestimmten Dingen nicht nein sagen. Man kann sich nicht weigern, eine Möglichkeit zu

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