Es: Roman
bildeten einen Kreis und hielten einander an den Händen. Und wir hatten uns die Handflächen aufgeritzt, so als ob wir ›Blutsbrüderschaft schließen‹ spielten – nur dass es kein Spiel war, es war unser völliger Ernst.«
Er streckte ihr seine Hände hin, und in der Mitte jeder Handfläche konnte sie eine laufmaschenartige weiße Linie erkennen, bei der es sich um ein Narbengewebe handeln konnte. Sie hatte unzählige Male seine Hand – beide Hände – gehalten, aber es war ihr nie zuvor aufgefallen. Die Narben waren schwach, aber man hätte glauben sollen …
Und dann jene Party! Nicht die, auf der sie sich kennengelernt hatten, sondern die Abschiedsparty nach Beendigung der Dreharbeiten von Abgrund des schwarzen Dämons. Es war hoch hergegangen, und alle waren sturzbetrunken gewesen. Vielleicht hatte es auf dieser Party ein bisschen weniger Neid und Missgunst gegeben, als auf den anderen L. A.-Partys, auf denen sie schon gewesen war; denn die Dreharbeiten waren besser verlaufen als gedacht, und alle wussten das. Für Audra Phillips waren sie sogar noch ein ganzes Stück besser verlaufen, denn sie hatte sich in dieser Zeit in William Denbrough verliebt.
Wie hatte doch jenes Mädchen geheißen, das sich selbst zur Wahrsagerin und Handleserin ernannt hatte? Es fiel ihr im Moment nicht ein. Jedenfalls war es eine der beiden Assistentinnen des Maskenbildners gewesen. Sie hatte irgendwann während der Party ihre Bluse ausgezogen (darunter hatte sie, wie Audra noch genau wusste, einen sehr durchsichtigen BH getragen) und sie sich um den Kopf gewickelt wie ein Zigeunerkopftuch. Betrunken und bekifft wie sie war, hatte sie den Rest des Abends den Partygästen aus der Hand gelesen … zumindest bis sie so high war, dass sie einschlief.
Audra erinnerte sich nicht mehr daran, ob diese Assistentin ihre Sache als Wahrsagerin gut oder schlecht gemacht hatte – sie war an jenem Abend selbst ziemlich high gewesen. Woran sie sich aber genau erinnern konnte, war der Moment, als die Frau nach Bills Hand gegriffen und sie neben Audras eigene gehalten hatte. Anschließend verkündete sie, sie seien das perfekte Paar, so was wie Seelenverwandte. Audra erinnerte sich, dass sie mehr als nur ein wenig eifersüchtig beobachte, wie das Mädchen die Linien von Bills Hand mit ihrem perfekt lackierten Fingernagel nachgezeichnet hatte – wie albern in jener merkwürdigen kleinen Subkultur, wo Männer den Frauen so routiniert den Hintern tätscheln wie anderswo die Wangen! Aber in dieser Berührung hatte etwas sehr Intimes gelegen.
Damals war in Bills Hand kein weißes Narbengewebe zu sehen gewesen.
Sie hatte die ganze Charade mit den Augen einer eifersüchtigen Geliebten beobachtet, und sie war sich ihrer Erinnerungen sehr sicher. Ganz sicher.
Und das sagte sie Bill jetzt.
Er nickte. »Du hast völlig recht. Die Narben waren damals nicht da. Und obwohl ich es nicht beschwören könnte, glaube ich, dass sie gestern Abend auch noch nicht da waren. Ralph und ich haben im ›Plow and Barrow‹ wieder mal Armdrücken um Bier veranstaltet, und ich denke, dass sie mir dabei aufgefallen wären.«
Er grinste sie an. Es war ein trockenes, unfrohes, beunruhigendes Grinsen.
»Ich glaube, sie sind zum Vorschein gekommen, als Mike Hanlon anrief. Das ist es, was ich glaube.«
»Bill, das ist unmöglich.« Aber sie griff nach ihren Zigaretten.
Bill betrachtete seine Hände. »Stan hat es gemacht«, sagte er. »Mit der Scherbe einer zerbrochenen Colaflasche schnitt er in unsere Handflächen. Ich erinnere mich jetzt so deutlich daran.« Er schaute Audra an, und die Brille reflektierte seine verstörten, verwirrten Augen. »Ich kann mich erinnern, wie diese Scherbe in der Sonne funkelte. Es war eine von den neuen, durchsichtigen. Vorher waren Colaflaschen grün, kannst du dich daran noch erinnern?« Sie schüttelte den Kopf, aber er sah es nicht. Er betrachtete immer noch seine Handflächen. »Und ich kann mich erinnern, wie Stanley seine eigenen Hände zuletzt aufritzte, wobei er erst so tat, als würde er sich die Pulsadern aufschneiden. Er machte natürlich nur Spaß, aber ich wäre ihm fast in den Arm gefallen … um ihn davon abzuhalten. Denn einen Augenblick lang sah es so aus, als wäre es sein völliger Ernst.«
»Bill, nicht«, sagte sie leise. Diesmal musste sie den Knöchel ihrer rechten Hand mit der linken festhalten, um die Feuerzeugflamme an die Zigarette halten zu können – wie ein Polizist seine Waffe auf einem Schießstand.
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