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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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»Narben können nicht plötzlich wieder auftauchen. Entweder sind sie da, oder sie sind nicht da.«
    »Dann hast du sie schon mal gesehen? Ist es das, was du mir sagen willst.«
    »Sie sind sehr schwach«, erwiderte sie schärfer als beabsichtigt.
    »Wir bluteten alle«, fuhr er fort. »Und wir standen im Wasser, nicht weit von der Stelle entfernt, wo Eddie Kaspbrak und Ben Hanscom und ich damals den Damm gebaut hatten …«
    »Doch nicht Ben Hanscom, der Architekt?«
    »Gibt es denn einen Architekten dieses Namens?«
    »Du lieber Himmel, Bill, er hat das neue BBC-Kommunikationszentrum gebaut! Es wird immer noch darüber diskutiert, ob es nun ein Traum oder aber ein Albtraum ist!«
    »Ich weiß nicht, ob das derselbe Ben Hanscom ist. Wahrscheinlich nicht, aber möglich wäre es. Der Ben, den ich als Junge kannte, konnte solche Dinge ganz fantastisch. Wir standen da, und ich hielt Bev Marshs linke Hand in meiner rechten und Richie Toziers rechte Hand in meiner linken. Wir standen da draußen im Wasser wie bei irgendeiner Taufzeremonie des Südens, und ich erinnere mich, dass ich den Wasserturm von Derry am Horizont sehen konnte, so weiß, wie man sich die Gewänder der Erzengel vorstellt, und wir versprachen, wir schworen, dass wenn es jemals wieder geschehen sollte … wir zurückkehren und dem ein Ende bereiten würden. Ein für alle Mal.«
    »Wem ein Ende bereiten?«, schrie sie, plötzlich wütend auf ihn. »Wem ein Ende bereiten? Verdammt, wovon redest du?«
    »Ich wünschte, du würdest nicht f-f-fragen …«, begann Bill und verstummte. Ein Ausdruck von Verwirrung und Erschrecken huschte über sein Gesicht. »Gib mir eine Zigarette«, sagte er.
    Sie reichte ihm die Packung. Er zündete sich eine Zigarette an. Nie zuvor hatte sie ihn rauchen sehen.
    »Ich habe damals gestottert«, sagte er.
    »Du hast gestottert?«
    »Ja. Damals. Du hast einmal zu mir gesagt, ich sei der einzige Mann in L.A., der sich trauen würde, langsam zu sprechen. In Wahrheit habe ich mich nicht getraut, schnell zu sprechen. Das war kein Zeichen von Selbstreflexion, Bedächtigkeit oder Weisheit. Alle ehemaligen Stotterer sprechen sehr langsam. Es ist einer der Tricks, die man lernt – genauso wie man lernt, an seinen Familiennamen zu denken, bevor man sich irgendwo vorstellt, denn Stotterer haben mit Substantiven mehr Schwierigkeiten als mit anderen Wörtern, und die größten Schwierigkeiten haben sie mit ihrem eigenen Vornamen.«
    »Du hast gestottert?« Audra lächelte etwas verwirrt, so als hätte sie die Pointe eines Witzes nicht verstanden.
    »Bis zu Georgies Tod habe ich mäßig gestottert«, fuhr Bill fort, und schon begann er im Geiste Wörter doppelt zu hören, wie in zeitlich unendlich weit voneinander entfernten Stereo-Lautsprecherboxen; die Wörter kamen mühelos heraus, in seiner langsamen und deutlichen Sprechweise, aber im Geiste hörte er Dsche-Dsche-Georgie und m-m-mäßig. »Das heißt, es gab auch damals schon schlimme Momente – hauptsächlich in der Schule, wenn ich aufgerufen wurde -, besonders dann, wenn ich die richtige Antwort wusste und geben wollte. Aber meistens hielt es sich in Grenzen. Nach Georgies Tod wurde das Stottern viel schlimmer. Als ich dann vierzehn oder fünfzehn war, wurde es wieder besser. Wir hatten an meiner neuen Highschool in Portland eine Sprachtherapeutin, Mrs. Thomas, und sie half mir – sie lehrte mich den Trick, an meinen Nachnamen zu denken, bevor ich ›Bill‹ sagte. Ich lernte damals in der Schule Französisch, und sie brachte mir bei, in die französische Sprache überzuwechseln, wenn ich etwas auf Englisch nicht herausbekam. Wenn ich beispielsweise dastand und hilflos stotterte ›d-d-dieses B-B-B-B…‹, konnte ich auf Französisch ausweichen und ›ce livre‹ sagen. Das ging mir ganz leicht von den Lippen. Und meistens konnte ich dann auch auf Englisch ohne Schwierigkeiten ›dieses Buch‹ sagen. Wenn ich bei einem S-Wort nicht weiterkam – wie Straße oder Säure oder Slum – konnte ich es lispeln. Und auch dann stotterte ich nicht.
    All das half mir, aber hauptsächlich besserte sich mein Stottern, weil ich Derry und alles, was dort geschehen war, vergaß. Ja, Audra, damals vergaß ich alles. Auf der Highschool. Nicht von einem Augenblick zum anderen, aber in bemerkenswert kurzer Zeit. Binnen vier Monaten oder so. Mein Stottern und meine Erinnerungen an die Geschehnisse in Derry verschwanden zur selben Zeit. Als hätte jemand die Tafel gewischt und mit ihr wären all

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