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Es: Roman

Es: Roman

Titel: Es: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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abstemple, wird er höchstens denken: Er liest zu viel von seinen eigenen Büchern. Aber das ist auch schon alles. Niemand würde auf die Idee kommen, dass der Mann mit dem arglosen Bankkassierergesicht, dass dieser Mann jetzt gerade verzweifelt darum kämpft, seinen Verstand beisammenzuhalten.
    Wenn ich anrufe, könnte diese Nachricht einige von ihnen umbringen.
    Das gehört zu den Dingen, die mich während der langen Nächte beschäftigen, wenn ich nicht schlafen kann, wenn ich in meinem hellblauen Pyjama im Bett liege, meine Brille und das obligatorische Glas Wasser neben mir auf dem Nachttisch, falls ich nachts aufwache und Durst habe. Dann liege ich im Dunkeln, trinke das Wasser in kleinen Schlucken und frage mich, woran sie sich noch erinnern mögen, und irgendwie bin ich überzeugt, dass sie sich an gar nichts mehr erinnern können, schlicht und einfach, weil sie sich nicht erinnern müssen. Ich bin der Einzige, der die Stimme der Schildkröte hört, der sich erinnert, weil ich der Einzige bin, der hier in Derry geblieben ist. Und weil sie in alle vier Winde verstreut sind, können sie auch nichts von den identischen Mustern ihres Lebens wissen. Sie zurückholen, ihnen jenes Muster aufzeigen … es könnte einige von ihnen umbringen, es könnte sie alle umbringen.
    Ich denke immer und immer wieder darüber nach; ich denke an sie und versuche zu entscheiden, wer von ihnen am verletzlichsten ist. Richie Tozier, glaube ich manchmal, Richie »Schandmaul« Tozier, der wohl am häufigsten von Criss und Huggins und Bowers schikaniert wurde, und das, obwohl Ben so fett war. Bowers, in erster Linie war es Bowers, vor dem Richie Angst hatte – vor dem wir alle am meisten Angst hatten -, was aber nicht heißen soll, dass die anderen ihm keine höllische Angst eingejagt haben. Wenn ich ihn in Kalifornien anriefe – würde das für ihn so eine Art schrecklicher Wiederkehr seiner Peiniger bedeuten, von denen zwei im Grab liegen und einer bis zum heutigen Tage im Irrenhaus in Juniper Hill Tobsuchtsanfälle bekommt? Manchmal glaube ich, Eddie war der Schwächste von uns, Eddie mit diesem dominanten Schlachtschiff einer Mutter und seinem schrecklichen Asthma. Oder Beverly, die immer versuchte, die Starke zu spielen, aber genauso Angst hatte wie wir alle? Oder aber Stotter-Bill, wenn er mit einem Horror konfrontiert wird, den er nicht einfach dadurch bannen kann, dass er die Hülle über seine Schreibmaschine zieht? Stan Uris?
    Ein rasiermesserscharfes Fallbeil hängt über ihren Köpfen, und je mehr ich darüber nachdenke, desto überzeugter bin ich, dass sie es nicht wissen. Und ich kann das Beil auf sie niedersausen lassen, einfach indem ich mein Adressbuch öffne, in dem ihre Telefonnummern stehen, und sie einen nach dem anderen anrufe.
    Aber vielleicht muss ich das gar nicht. Ich klammere mich an die schwache Hoffnung, dass ich einfach die dünnen, hohen Angstschreie meines eigenen begrenzten Verstandes fälschlicherweise für die tiefere, wahrhaftigere Stimme der Schildkröte halte. Was habe ich denn schließlich in der Hand? Mellon im Juli. Ein totes Kind in der Neibolt Street letzten Oktober, eines im Memorial Park Anfang Dezember, kurz vor dem ersten Schnee. Vielleicht war es ein Landstreicher, wie in der Zeitung stand. Oder ein Verrückter, der seither Derry verlassen oder aus Reue oder Abscheu Selbstmord begangen hat, wie manche Bücher es über den wahren Jack the Ripper behaupten.
    Vielleicht.
    Aber das Mädchen der Albrechts wurde genau gegenüber des verdammten alten Hauses in der Neibolt Street gefunden … und sie wurde am selben Tag ermordet wie George Denbrough siebenundzwanzig Jahre zuvor. Und dann der kleine Johnson im Memorial Park – ein Bein unter dem Knie abgerissen. Im Memorial Park befindet sich natürlich der Wasserturm, und der Junge wurde fast an dessen Fuß gefunden. Der Wasserturm ist in Rufweite der Barrens; der Wasserturm ist auch die Stelle, wo Stan Uris diese Jungs gesehen hat.
    Diese toten Jungs.
    Es könnte sein, dass alles nur Schall und Rauch ist – könnte sein. Oder Zufall. Oder vielleicht etwas dazwischen – eine Art böses Echo. Könnte das sein? Ich spüre, dass es sein könnte. Hier in Derry könnte alles sein.
    Ich glaube, dass es immer noch hier ist, jenes Etwas, das schon früher hier war, 1957 und 1958, jenes Etwas, das 1929 und 1930 hier war, als die vornehmlich von Schwarzen frequentierte Bar Black Spot von der »Maine Legion of White Decency«, der Nordstaaten-Version

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