Es war einmal ein Mord: Ein Hänsel und Gretel-Krimi (German Edition)
zwei Minuten erst geängstigt und dann angebrüllt worden zu sein, »das haben wir bereits getan.«
»Im Namen König Julians«, blökte der Soldat sie weiter an, »gebt euch zu erkennen!«
»Kein Grund zu brüllen«, klärte Gretel ihn auf.
»Wilhelm Bruder«, krächzte der Fahrer. »Bauer von gutem Stande, der niemandem niemals in seinem ganzen Leben Ärger gemacht hat.«
»Die Gesternstädter Gretel. Ja, die Gretel«, fügte sie hinzu, als sie die vertraute, unausgesprochene Frage in den Augen des Soldaten aufflackern sah.
»Im Namen König Julians, nennt euer Begehr!«, verlangte er.
So hätte die Befragung noch eine ganze Weile weitergehen können, aber in der klitzekleinen Pause, die dieser Frage folgte, jener winzigen, stillen, harmlosen Pause zwischen Gebrüll und Erwiderung, ertönte das unmissverständliche Geräusch eines Niesens. Nicht irgendein Niesen, sondern ein jugendliches, hübsches, weibliches Niesen.
Was die Soldaten veranlasste, unverzüglich in Aktion zu treten. Mit gezogenen Schwertern umzingelten sie den Wagen. Der Obristwachtmeister nickte einem Untergebenen zu, der sich herabbeugte und das Sackleinen fortriss, unter dem das zitternde Madel zum Vorschein kam. Gretel machte den Mund auf, um irgendetwas zur Verteidigung des verängstigten jungen Dings zu sagen, wurde aber durch das, was als Nächstes geschah, der Gelegenheit zum Heldentum beraubt.
Das Madel sprang auf und warf sich in die Arme des erstbesten Soldaten. Dabei kreischte und schrie es die ganze Zeit zum Gotterbarmen.
»Oh, dem Himmel sei Dank! Dem Himmel sei Dank, ihr habt mich gerettet. Die tapferen, tapferen Männer meines Vaters sind gekommen, um mich vor den schrecklichen Schuften zu bewahren, die mich geschnappt haben. Oh, ich fürchtete schon, grausam gemeuchelt oder verkauft zu werden oder Schlimmeres! Ach, meine süßen Helden!«, heulte sie und fiel in den Armen des ein wenig überraschten Soldaten in Ohnmacht.
»Also wirklich!« Gretel war erzürnt. Schlimm genug, von jemandem, dem sie hatte helfen wollen, als Entführerin bezichtigt zu werden, dann aber auch noch schrecklich genannt zu werden – noch dazu, während sie ihre liebste Garderobe trug – war zu viel.
Der Bauer war zu einem zitternden Wackelpudding verfallen und brabbelte unzusammenhängend vor sich hin, rang dieHände und setzte ein dampfendes Rinnsal Urin frei, das am linken Bein seiner Kniehose herabwanderte.
»Gnade! Oh, habt Erbarmen mit einem armen, bescheidenen Bauern!«, flennte er.
»Wir haben sie nicht entführt«, erging Gretel sich in dem Versuch, die Stimme der Vernunft inmitten all dieses überdrehten Unsinns zu geben. »Das Madel hat uns gebeten, es zu verstecken. Es schien Euch zu fürchten, und ich kann nicht behaupten, dass ich es ihm verdenken könnte.«
»Im Namen König Julians …«
Gretel verdrehte die Augen.
»… ihr werdet Prinzessin Charlotte den gebührenden Respekt und die ihr zustehende Hochachtung entbieten!«, polterte der Obristwachtmeister.
»Prinzessin?« Gretel betrachtete die junge Frau verwundert und erkannte die Hakennase, die schmalen Augen und den leichten Überbiss, der in der Tat den Stempel des Hauses Findlberg trug.
Bauer Bruder heulte lauthals und bedachte auch das rechte Hosenbein mit einem kräftigen Guss Urin.
Gretel betrachtete das blasse, anziehende Gesicht der Prinzessin; sie erfasste die glühenden Blicke und die mannhafte Haltung der Soldaten; sie bedachte das magere Gewicht ihrer eigenen Worte (und der des in Auflösung befindlichen Bauern) im Vergleich zu denen der geliebten ältesten Tochter eines Königs, der weit und breit für seine nicht vorhandene Barmherzigkeit bekannt war.
Schließlich sank sie auf dem hölzernen Sitz tief in sich zusammen, stieß einen resignierten Seufzer aus und sagte ganz leise: »Ah.«
*
Das Sommerschloss (das diesen Namen trug, weil die Familie seit Anbeginn der Aufzeichnungen den Sommer hier verbracht hatte) war ein schimmerndes, weißes Konfekt von einem Gebäude; eine Konstruktion, entworfen offenbar aus einer Laune, unterstützt von ein wenig Fantasie und einem Beitrag von Damals-schien-es-eine-gute-Idee-zu-sein. Leichtfertigkeit vertrat die Stelle der Symmetrie, Exzess die der Zurückhaltung. Es gab unerreichbare Türmchen und überflüssige Balkone, Eingänge, die nicht betreten werden konnten, und Ausgänge, durch die noch nie jemand erfolgreich hinausgelangt war. Obendrein war es lächerlich. Aber niemand, der den Kopf auf dem Hals
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