Es war einmal oder nicht: Afghanische Kinder und ihre Welt (German Edition)
geschmiegt in die Schubkarre.
Die Straße am anderen Ufer führt bis nach China. Hier folgen Dörfer, in denen früher Flüchtlinge lebten. Der Fluss fächert sich immer breiter, auf den Inseln Weideland voller Panzerschrott. Es sieht nach einer Nachkriegsidylle aus. Doch auch in diesen Frieden drang im letzten Jahr ein Selbstmordattentäter. Sein Wagen explodierte, der Mann starb. Seine beiden Komplizen hat man sofort erschossen. »Das war falsch«, meint Nabil. Denn so kennt man ihre Motive nicht.
Wir kommen hoch über dem Tal am Ziel unserer Reise an, dem Grabmal für Massoud, einem Rundtempelbau, mit lapislazuliverzierter Kuppel. Ein paar seiner ehemaligen Männer sind gekommen, um zu trauern. Verwildert sehen sie aus und ergriffen. Wir sitzen zusammen auf einer Brüstung über dem Tal.
Ich schaue in die Runde dieser Kriegergesichter, auf die Arme mit den selbstgestochenen Tätowierungen, die ehemals unerwünscht waren, denn auch Tätowierungen sind Bilder. Nabil hat die seinen mit Zigarettenglut entfernt. Eine von ihnen aber wirkt bloß verwischt.
Der rothaarige Krieger bemerkt:
»Die amerikanischen Soldaten, die den Koran verbrannt haben, sind heute verurteilt worden.«
»Welche Strafe sollen sie kriegen?«
Unter den Männern gehen die Meinungen auseinander. Einer sagt:
»Zum Tode müsste man sie verurteilen!«
»Nein, man soll sie nicht töten«, meint Nabil. »Wir sind müde. Es ist genug Blut geflossen. Sie sollen die Straße fegen bis nach Kunduz. Und dann ab ins Gefängnis!«
Dann geht er, Massouds treuer Fußsoldat, und fotografiert hockend, lange und geduldig eine schwankende Gebirgsblume auf einem Fels. Da ist sie wieder, diese Situation, in der die martialischen Männer zart und ein bisschen kindlich werden. Dann erhebt sich Nabil und wendet sich mir resümierend zu:
»Ich bin froh, dass du gekommen bist und es mit eigenen Augen gesehen hast: Wir sind nicht alle Mörder. Immerhin gibt es Gegenden, in denen Krieg geführt wird, und trotzdem gehen die Kinder in die Schule, die Mädchen lernen schreiben und lesen, und die Lehrer lassen den Unterricht nicht ausfallen.«
Anschließend geht er wieder in die Hocke, wendet sich noch einmal der Blume zu und fotografiert sie aus einer anderen Perspektive. Zwei Nomadenkinder beobachten erst ihn, dann die Blume. Wüsste ich nur, was sie sehen!
Danksagung
Den Kindern, die zu diesem Buch beigetragen haben, kann ich nicht genug danken. Sie haben mir tiefen Eindruck gemacht. Auch den Lehrerinnen und Lehrern, den Schneiderinnen, Fußballspielerinnen, Autorinnen, Menschenrechtlern, den Menschen, die mir in Afghanistan ihr Vertrauen schenkten, mir halfen oder mich begleiteten, sei vielmals gedankt. Außerdem fühle ich mich den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern des Afghanischen Frauenvereins in Afghanistan und in Deutschland seit Jahren verbunden und verpflichtet. Vor allem aber sei meiner lieben Freundin Nadia Nashir gedankt, der 1.Vorsitzenden des Afghanischen Frauenvereins, deren Kraft, Mut und Großherzigkeit so imponierend sind und ohne die die hier versammelten Bilder und Texte nicht hätten geborgen werden können.
Der Erlös aus dem Verkauf dieses Buchs wird von Verlag und Autor an den Afghanischen Frauenverein e.V. weitergegeben. Das Geld soll den Kindern Afghanistans zugutekommen. Spenden erreichen den Verein über:
Afghanischer Frauenverein e.V., Commerzbank Koblenz, BLZ 57080070, Konto: 0680850500.
Roger Willemsen
Handschriftliche Kommentare der Kinder zu einigen ihrer Bilder
»Friede und Ruhe, Freude und Schule.«
»Armer Mensch, Revolution und Krieg, Blatt ohne Früchte.«
»Afghanistan ist unsicher, und die Menschen haben kein ruhiges Leben. Europa ist schön mit asphaltierten Straßen und schönen Gebäuden, in denen die Menschen sicher leben.«
»Ein erschöpfter Mensch kann gut auf einem Stein schlafen. Ein schlechter Mensch träumt nicht einmal auf einem Federkissen gut.«
»Nach der Schule arbeite ich mit dem Spaten auf den Feldern anderer Leute. So verbringe ich mein Leben. Wie sehr hätte ich mir gewünscht, zur Schule zu gehen. Dann hätte ich nicht so ein Leben gehabt.«
»Die Schule ist ein Ort des Humanismus.«
»Die Schule wird von einem Bombenanschlag erschüttert. Jetzt reicht’s aber.«
»Europäische Kinder lernen. Afghanische Kinder fegen die Straßen.«
»Deutsche Kinder lernen an schönen Orten, auf grünen Plätzen. Afghanische Kinder leben in Zelten und lernen am Boden.«
»In Europa geht es den Schülern
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