Es wird Dich rufen (German Edition)
Bürger des kleinen Dorfes zu treffen, äußerst gering. Zumal die nächsten bewohnten Gebäude weit entfernt hinter dem Garten der Villa lagen.
»Sie wissen von den neuesten Plänen Saunières?«
»Meinen Sie den Bau des Tempels?«, fragte Marie, die ahnte, worauf der Botschafter hinauswollte. Insgeheim hatte sie es schon befürchtet: Saunières Pläne konnten nicht unbemerkt geblieben sein. Allerdings war Marie bislang davon ausgegangen, dass er diese, wie all seine anderen Vorhaben auch, mit den »Bewahrern des Lichts« abgestimmt hatte.
»Saunière hat nicht nur uns damit sehr beunruhigt«, bemerkte der Mann nervös. »Ein Tempel dieser Größenordnung würde die Aufmerksamkeit der ganzen Welt auf sich ziehen – und damit auch auf uns. Das können wir nicht akzeptieren. Wir müssen die …« Der Mann hielt einen kurzen Moment inne. »Wir müssen das Geheimnis um jeden Preis bewahren. Verstehen Sie? Um jeden Preis!«
»Ich weiß«, sagte Marie.
»Und wir können nicht riskieren, dass es bekannt wird, nur weil der Abbé sich ein Denkmal setzen will, das er in diesem Ausmaß sicherlich nicht verdient hat!«
Marie schaute den Mann nachdenklich an.
Ein Denkmal, das er nicht verdient hat. Eine freundliche Umschreibung für das, was der Botschafter wohl eigentlich meinte: Größenwahn. Sie selbst hatte Saunière immer wieder vor den gewagten Plänen eines Tempelbaus gewarnt.
Alleine die Kosten schienen ihr unbezahlbar zu sein, selbst für einen Abbé Saunière mit all seinen Möglichkeiten.
»Madame Dénarnaud«, fuhr der Mann fort. »Wir sind außerordentlich besorgt über die jüngsten Ereignisse in Rennes-le-Château. Und auch Rom hat nicht das geringste Interesse daran, dass Saunière dieses Projekt verwirklicht.«
Seine Stimme war deutlich strenger geworden.
»Unser aller Zukunft steht auf dem Spiel, wenn dieser Tempel gebaut wird. Es wäre der Anfang vom Ende. Der Anfang der Apokalypse.«
Marie blickte ihn mit großen Augen fragend an. Sie war nicht in der Lage, die Tragweite seiner Aussage zu erfassen. Wie sollte ein simples Bauprojekt, egal welch unangemessene Größenordnung es auch haben mochte, die Zukunft der Welt gefährden?
»Madame Dénarnaud! Wir müssen davon ausgehen, dass der Abbé der Macht dessen, was er beschützen sollte, nicht mehr gewachsen ist.«
Der Mann zögerte einen Moment, als müsse er überlegen, wie er eine für alle Beteiligten unangenehme Nachricht möglichst behutsam weitergeben konnte.
»Ich fürchte, Saunière ließ sich von der dunklen Macht einnehmen.« »Das können Sie nicht ernst meinen!«, rief Marie entsetzt aus.
Die Männer erschraken aufgrund der Lautstärke und baten sie mit einer beruhigenden Geste, leiser zu sprechen.
Dann führten sie sie den Weg hinab in Richtung der kleinen Grotte, die Saunière mit eigenen Händen in den Pfarrgarten gebaut hatte. Sie war eine Ehrerbietung an Maria Magdalena, der er einen großen Teil seines Lebens gewidmet hatte.
Natürlich war es richtig, dass sich der Abbé in letzter Zeit auffallend verändert hatte. Das war keinem verborgen geblieben. Aber dass er deswegen gleich im Dienst des Teufels stehen sollte? Ein tiefgläubiger Gottesmann wie Saunière? Niemals! Das konnte nicht sein!
Marie zitterte angesichts der unglaublichen Vorwürfe.
»Sie liegen vollkommen falsch!«, widersprach sie, um den Botschafter eines Besseren zu belehren. Der blickte Marie verständnisvoll und mit einem sanftmütigen Lächeln an.
»Verzeihen Sie mir! Ich wollte Ihnen nicht wehtun, Madame. Wir wissen natürlich, dass Sie ihm näherstehen als jeder andere. Umso schmerzlicher ist es, Ihnen diese bedauerliche Nachricht überbringen zu müssen. Trotzdem: Sie entspricht nach allem, was wir wissen, der Wahrheit.«
Saunières Haushälterin stieß den Mann von sich und lief ein paar Meter Richtung Villa. Dort blieb sie stehen und schaute erstarrt auf das Haus, dessen prachtvolle Fassade die ärmlichen Gebäude des Dorfes bereits seit vielen Jahren überstrahlte. Sollte es tatsächlich zur Heimat eines Satansjüngers geworden sein, ohne dass sie es bemerkt hatte?
Auch wenn ihr Herz sich noch dagegen wehrte, ihr Verstand wusste doch nur zu genau, dass sie sich dieser ungeheuerlichen Behauptung unmöglich verschließen durfte.
Die »Bewahrer des Lichts« hätten sie niemals grundlos aufgesucht. Das war ihr vollkommen klar.
Die beiden Männer, die Saunières Haushälterin einen Augenblick lang allein gelassen hatten, folgten ihr nun.
Marie
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