Es wird schon nicht das Ende der Welt sein
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WIE MAN BABYS MACHT, war mir seit Ewigkeiten klar. Ich hatte genug Tiere dabei gesehen, um mir meinen Teil zu denken. Aber jetzt kriegte meine ältere Schwester Sissy eins, und deswegen guckten wir uns nicht mehr in die Augen, nur noch auf ihren Bauch. Alle machten das, hatte ich gesehen. Dad starrte jeden Abend beim Essen auf die Wölbung hinter der Tischkante, als ob er sie zum ersten Mal sehen würde.
Sissy war vierzehn, nur ein Jahr älter als ich, und alle sagten, das sei zu jung, aber keiner wusste, mit wem sie es getrieben hatte. Als sie in den Osterferien aus dem Internat nach Hause kam, hatte sie sich immerzu übergeben. Morgens konnte man nicht ins Bad und aufs Klo, weil sie sich da drinnen die Eingeweide rauskotzte. Eines Morgens war es bei mir echt dringend gewesen, ich hab also an die Tür gehämmert und ihr gesagt, sie soll sehen, dass sie fertig wird, aber ich konnte sie nur würgen und husten hören, und dann hat was gespritzt. Schließlich kam sie rausgerannt, und dann ist sie gleich in ihr Zimmer und hat die Tür zugeknallt – als ob das meine Schuld wär.
Zuerst hat Mum gedacht, Sissy hätte sich in der Schule einen fiesen Virus eingefangen. Sie hat ihr Cracker gegeben und trockenen Toast, damit sich die Sache beruhigt. Aber als Sissy dann ein paar Wochen zu Hause gewesen war und immer noch jeden Morgen das Badezimmer besetzte, hab ich gehört, wie Mum Tante Veronica erzählt hat, der Groschen wäre gefallen – sie habe was in der Röhre. Ich wusste nicht so genau, was das heißen sollte, aber ich vermute, sie hatte rausgekriegt, dass Sissy nicht richtig krank war.
Und dann eines Abends beim Essen hat Sissy wie sonst auf ihrem Platz am Tisch gesessen, nur ihre Augen waren roter als sonst. Seit sie wieder zu Haus war, war sie so ein Lahmarsch gewesen, nur immer am Kotzen und in ihrem Zimmer am Heulen, da hab ich mir nicht allzu viel dabei gedacht. Aber als wir alle anfingen, uns übers Essen herzumachen, hab ich bemerkt, dass Sissy ihres nur auf dem Teller herumschob. Es gab Steak, also hab ich gesagt, wenn sie ihres nicht wollte, dann würde ich es essen. Da hat Dad dann Messer und Gabel hingelegt und Mum angeguckt, ich weiß auch nicht, warum, aber ich hab mich ein bisschen so gefühlt wie damals, als ich von Jonnys Unfall erfahren hab. Ich dachte, das Steak, das ich mir in den Bauch geschaufelt hatte, würde wieder raushüpfen. Ich hab Jonnys Foto oben auf dem Klavier angeguckt und mir gewünscht, hinlaufen und es anfassen zu können.
Dad seufzte dann und schaute in die Runde, ehe er tief Luft holte und Sissy anstarrte. Als er ausatmete, sagte er, wir könnten ebenso gut alle wissen, dass Sissy schwanger sei. Dann schaute er wieder auf seinen Teller und aß noch einen Mundvoll Steak. Ich wäre fast an meinem Kartoffelbrei erstickt, aber die Farmarbeiter Lloyd und Elliot sagten nichts. Sie leerten nur ziemlich schnell ihre Teller und gingen nach draußen auf ein Bier. Ich starrte Sissy an, die wieder angefangen hatte zu weinen.
Als Mum fragte, ob noch einer mehr Gemüse wollte, wäre ich fast zusammengezuckt. Keine Antwort. Ich glaub, keiner hatte mehr Hunger. Und da sagte dann Emily, meine jüngere Schwester: »Was ist schwanner?« Sie hat keinen Schimmer. Sie ist sieben und kriegt rein gar nichts richtig hin. Andauernd redet sie nur von Nuckelkälbchen, aber sie füttert sie nie – sie will sie nur zum Streicheln und ihnen blöde Namen geben.
Mum seufzte und legte Emily den Arm auf die Schulter, während sie erklärte, schwanger bedeute, dass Sissy ein Baby bekommen würde. Emily kriegte echt große Augen und so ein bescheuertes Lächeln von einer Backe zur anderen, und sie sagte: »Ein echtes?« Als ob das was Gutes wäre.
Wenig später mussten wir den Tisch abräumen und in unsere Zimmer gehen. Dann gab es Riesenzoff. Ich hab alles durch die Wand zwischen meinem Zimmer und dem Esszimmer gehört. Es war der erste Zoff seit Langem in unserem Haus, ich glaub, der erste seit Jonnys Unfall. Am Anfang sprachen Mum und Dad in normaler Lautstärke mit Sissy, aber dann haben sie gebrüllt. Sie wollten wissen, mit wem sie es getrieben hatte, aber sie wollte es ihnen nicht sagen. »Komm schon, Sissy – wer war es?«, bedrängte Mum sie. »Nun sag es uns schon, Liebes.«
Dann mischte Dad sich ein: »Am Ende kommt es doch eh raus – solche Sachen kommen immer raus, du kannst uns also die Umstände ersparen und es gleich sagen. War es einer von den Jungs in der Schule? Diese kleinen
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