Esel
wenn ich die fünfte Welt suche, dann Richtung Süden, hinter den Alpen, irgendwo in der Toskana.
»Und du?«
»Ich bin ein Hopi.«
»Dann verstehe ich wirklich nicht, warum du nicht in Arizona geblieben bist?«
»Du verstehst mich nicht. Du hältst mich für einen Spinner.«
»Nein, tu’ ich nicht.«
Tu’ ich doch.
»Es ist nur so: Vom kadertreuen NVA -Offizier zu einem Hopi-Indianer in der Uckermark, das ist mal ein Sprung, den man nicht sofort nachvollziehen kann, das musst du zugeben.«
»Wofür lebst du?«, will er nun wissen.
»Ich?« Wer sonst, Friedhelm wird er nicht meinen. »Ich lebe für eine ganze Menge.«
»Dann sag es mir: Wofür lebst du?«
Was soll das? Ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll. Da gibt es so viel, für das es sich lohnt zu leben, so viel, für das ICH lebe. So viel, dass mir jetzt nichts einfällt.
Warum? Warum? Warum?
»Du weißt es nicht.«
»Natürlich weiß ich es.«
Ich weiß es wirklich nicht. Nicht in diesem Augenblick. Klar fallen mir jetzt so Dinge ein wie: mein Auto, mein Haus, mein Urlaub, mein Pensionsanspruch – Pensionsanspruch? Himmel, ja, ich weiß doch, dass diese Dinge nicht das sind, für das es sich lohnt, zu leben, aber – jetzt fällt es mir ein. Natürlich, warum bin ich da nicht sofort drauf gekommen?
»Die Liebe! Dafür lohnt es sich.«
»Du hast recht, dafür lohnt es sich.«
Puh, das ist aber gerade noch mal gutgegangen.
»Aber, was machst du dann hier?«
»Weißt du doch, Urlaub … mit dem Esel … mit dem Esel durch die Uckermark …«
Während ich das sage, merke ich, was Chavatangawunua mit seiner Frage bezwecken wollte. Aber das ist mir jetzt zu privat. Ich hatte Hunger, den habe ich nun nicht mehr. Ich habe mich für seine Geschichte interessiert, und das Interesse ist einigermaßen befriedigt. Aber ich werde jetzt auf keinen Fall mit einem Hopi-Indianer über Karin, Lucca und den Grund dieser Reise hier sprechen, auf keinen Fall.
»Ich weiß es nicht. Also, vielleicht weiß ich es. Aber ich bin mir noch nicht sicher.«
»Du bist auf der Suche.«
»Ja, das bin ich wohl.«
»Aber, du bist schon fast am Ziel.«
»Sicher?«
»Sicher. Und hör auf deinen Esel, er kennt das Ziel.«
Ich schaue zu Friedhelm und denk’ mir meinen Teil. Dann reiche ich Chavatangawunua die Hand.
»Danke.«
»Wofür?«
»Fürs Finden Helfen.«
40. Fast am Ziel in Pinzow
Kurz vor Pinzow behauptet die Münch, ein richtiger Fluss zu sein. Sie ist aber eigentlich nur ein Bach mit Übergewicht und breiten, welligen Hüften aus Sand. Hier gibt es kaum Vegetation, und Friedhelm ist seit einer Stunde zutiefst beleidigt wegen des mangelnden Nahrungsangebotes. Hier haben die Gletscher vor ewig langer Zeit ganze Arbeit geleistet. Sie haben eine Furche gezogen, die sich die Münch als Streckenvorgabe ausgesucht hat. Zuvor hatten die gewaltigen Eismassen alle Steine, die im Wege lagen, so lange plattgewalzt. Nun hat man den Eindruck, die Uckermark hätte Strände wie auf Sylt. Man kann es kaum glauben, aber der Sand hier ist weiß wie Mehl und hat sich wenige Meter von der Münch zu Binnendünen aufgetürmt. Während meiner gesamten Reise habe ich nichts Ähnliches gesehen. Was Friedhelm nicht tröstet. Ich genieße die Schönheit der Natur, und er schiebt Kohldampf. Pech gehabt, Friedhelm. Das Eselsein ist nicht immer nur von Vorteil.
»Wir sind ja gleich da«, tröste ich meinen Begleiter.
Friedhelm grunzt.
Und dann sehe ich dieses Tier, das hier nicht sein kann. Aber es ist trotzdem da. Hier kann so einiges nicht sein, das habe ich gelernt. Doch eine Sumpfschildkröte, hier?
Friedhelm weicht einen Schritt zurück. Dieses Tier mit dem Panzer ist ihm nicht geheuer. Es sind nur 20 Zentimeter dunkelbrauner Rückenpanzer, die sich bewegen wie ein mobiler Maulwurfshügel, aber das reicht, um einem Esel Respekt beizubringen.
Das Lehrer-Gen in mir wird aktiviert, ist dieses Reptil da wirklich das, wofür ich es halte? Das Handy muss den Beweis ergoogeln. Wie ich das normalerweise hasse, diese ständige Verfügbarkeit von unüberprüfbarem Wissen: Namen, Daten, Fakten, 23 565 557 Treffer in einer Sekunde.
Klick! Klick! Klick!
Vielleicht bin ich nur gekränkt, weil Björn Keppler nur 231 relevante Treffer ergibt, und es werden jeden Tag weniger.
Aber jetzt habe ich was gefunden, und es wird schon stimmen. Außer Friedhelm muss ich hier niemandem etwas beweisen. Das Bild auf dem kleinen Display ist aber auch Beweis genug.
»Ja, ich habe es
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