Esel
mehr passieren.
»Magst du Indianer?«
»Schon als Kind war ich immer lieber Indianer als Cowboy.«
»Ich rede nicht vom Indianerspielen.«
»Gut, in diesem Sinne habe ich jetzt noch nicht so den ganz großen Zugang zu dem Thema.«
»Interessiert es dich?«
Ehrlich gesagt, interessiert mich noch mehr, ob es vielleicht ein bisschen Nachschlag von diesem Hopi-Eintopf gibt. »Klar interessiert mich das.«
Das scheint ihn zu freuen, und erst jetzt fallen mir seine strahlend blauen Augen auf, was auch nicht so typisch für einen Hopi-Indianer ist.
Ich nicke interessiert, und die blauen Hopi-Augen funkeln noch ein bisschen mehr.
»Vielleicht hilft es dir auf der Suche, dich zu finden«, sagt Marvin Chavatangawunua.
»Kommt auf einen Versuch an.«
»Ja. Möchtest du noch was essen?«
»Och, warum nicht?«
Marvin Chavatangawunua geht in die Hütte, um noch was zu holen. Während ich Friedhelm zuzwinkere. Wir beide sind die mutmaßlich einzig normalen Lebewesen in dieser Gegend, was ich mit meinem Zwinkern deutlich machen möchte. Friedhelm schaut einmal kurz auf und nickt. Ehrlich.
»Ich will dir nun erzählen, warum ich ein Hopi-Indianer wurde.«
Bitte, lass ihn kein Grenzzauntrauma haben oder irgendwas in dieser Richtung, lass ihn einfach nur ein harmloser Spinner sein.
»Dass ich kein richtiger Hopi bin, muss ich dir nicht sagen.«
Nein, das ist nicht nötig. Gibt ja wahrscheinlich kaum Hopis, die Oberst bei der Nationalen Volksarmee der DDR waren. »Nein, musst du nicht«, sage ich so normal es eben geht.
»Nach der Wende bin ich in ein schwarzes Loch gefallen. Von heute auf morgen war alles anders. Gestern noch war ich verantwortlich für viele meiner Genossen, und auf einmal war ich nur noch für mich verantwortlich.«
»Keine Frau?«
»Kommt noch.«
»Okay.«
»Ich habe überlegt, was ich mit dieser Situation machen soll, und zum ersten Mal in meinem Leben gab es keine strategische Perspektive. Es gab keine Kommandostruktur oder richtungweisenden Pläne, es gab nichts. Meine Frau hatte sich übrigens schon vor der Wende von mir getrennt.«
»Das tut mir leid.«
»Mir nicht. Sie hat mich betrogen mit einem Genossen.«
»Oh.«
»War besser so, wenn es sie noch gäbe, säße ich nicht hier.«
»Ja, ja, Frauen und Indianer, das ist ja oft auch so eine Sache.«
Marvin Chavatangawunua bekommt die Ironie nicht mit, stattdessen starrt er nun auf seine Mokassins, als sähe er dort die Wahrheit und nichts als die Wahrheit.
»Verspotten würde sie mich. Zu Recht. Sie fand mich schon in der Uniform lächerlich, und jetzt so.«
»Wenn du dich wohl fühlst, so …«
»Mir geht es nicht um wohl fühlen. Ich weiß, was andere denken, wenn sie mich so sehen. Und du machst da keine Ausnahme.«
»Ich hab’ nichts gesagt.«
»Schon gut, es macht mir nichts aus. Ich kenne die Kommentare, der Verrückte aus dem Wald, der Indianer, der Bekloppte. Ich hätte genauso reagiert. Ich hätte mich selber verspottet, wenn ich nicht diese Erfahrung gemacht hätte.«
Alles klar, jetzt kommt doch das Trauma.
»1990 war ich in Amerika.« Oh, Auswärtstrauma. »Erst bin ich ziellos herumgefahren, habe nur das übliche Touristenprogramm gemacht. New York, Boston, San Francisco. Ein bisschen Geld hatte ich ja. Habe dann aber schnell gemerkt, dass ich während meiner Jahre in der DDR nichts verpasst habe.«
»Das ist nicht dein Ernst?«
Das glaube ich ihm wirklich nicht. Eine Nation, die sich von ihren Verwandten im Westen Kaffee und Nylonstrumpfhosen schicken ließ, behauptet plötzlich, nichts verpasst zu haben. Bitte, das ist ja wohl ein bisschen arg geflunkert.
»Ja, es ist schwer für euch zu glauben, dass wir hier im Osten nicht immer nur davon geträumt haben, den Luxus des Westens mal zu erleben. Aber wenn der Traum der Realität nicht standhält, was bleibt dann übrig von einem Traum?«
Ich zucke mit den Schultern. Keine Ahnung, was ich nun sagen soll. Er hat mich erwischt.
»Dieser ganze Glitzer-Hokuspokus ging mir schnell auf die Nerven. Ich wollte eigentlich schon nach Hause fliegen, und dann habe ich diesen Artikel in der
New York Times
gelesen. Und der hat mein Leben verändert.«
Potz Blitz! Jetzt bin ich neugierig.
»Weißt du, wo die Hopi-Indianer wohnen?«
»Nicht genau.«
»Im Nordwesten von Arizona, in einem Reservat.«
»Oh.«
»Ja, genau – oh! Strenggenommen leben die Hopis in einem freien Land wie Amerika genau wie wir damals.«
»Na ja, ich glaube, der Vergleich hinkt ein
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