Eselsmilch
meiner
Gisela eingeschult worden ist.«
Dem konnte Rudi nichts
entgegensetzen. Fanni sah ihm von Weitem an, dass er an dieser Niederlage zu
kauen hatte. Er schwieg einen Moment verstimmt, doch plötzlich schien ihm etwas
Wichtiges einzufallen.
»Wo ist denn der Severin?«
»Ja, wo wird er denn schon
sein?«, antwortete Sepp. »Daheim, vor seinem Computer. Was anderes kennt der
doch nicht am Wochenende.«
»Der Severin hat aber die
Annabel heut früh in seinem Auto hergebracht«, sagte Bergwacht-Rudi, »das hab
ich selber gesehen.«
Bergwacht-Sepp schaute ihn
skeptisch an. »Seit wann darf denn der auf der gesperrten Forststraße vom
Waldhaus zur Hütte fahren?«, fragte er.
»Er hat den Max dabeigehabt«,
antwortete Rudi, und das schien alles zu erklären.
Fanni musste eine Weile darüber
nachgrübeln, bis auch ihr aufging, was Rudi meinte. Max der Hüttenwirt ging an
Krücken, das hatte sie ja soeben selbst mitbekommen. Und deshalb besaß er
gewiss eine Sondergenehmigung, die ihm erlaubte, jederzeit in einem Wagen vom
Zwiesler Waldhaus zur Falkenstein-Schutzhütte zu fahren.
Fanni wurde durch lautes
Schnaufen zu ihrer Linken vom Gespräch der Bergwachtmänner abgelenkt. Ein
älterer Herr in Bundhosen, Lodenjanker und Trachtenhut hetzte den Pfad herauf.
Er trug einen abgeschabten Rucksack aus der Vorkriegszeit.
Luis Trenker!
Eher eine Parodie auf ihn,
dachte Fanni.
Der Ankömmling war klein und
rundlich und sah mehr nach gemütlichem Opa als nach Bergkraxler aus. Seine
Brille war vom Atemdunst angelaufen. Als er das Plateau erreichte, nahm er sie
ab und schwenkte sie an einem ihrer Drahtbügel hin und her, damit sie wieder
klar wurde.
Während er mit kurzsichtigen
Augen in die Runde blinzelte, entdeckte ihn Rudi.
»He, Krautdoktor!«, schrie er.
»Hast du es auch schon mitgekriegt?«
Der Bundhosen-Opa setzte die
Brille wieder auf, wandte sich der Gruppe um die beiden Bergwächter zu und sah
Rudi geradezu flehentlich an.
»Annabel«, keuchte er.
Rudi zeigte auf den Felsblock
hinter dem Geländer und schüttelte mit feierlich-ernster Miene den Kopf.
Der Opa schrie auf und stürzte
auf die Planke zu, als wolle er darüberhechten. Sepp erwischte ihn am
Lodenjanker.
»Der Annabel kann keiner mehr
helfen«, sagte er. »Wir nicht und du auch nicht – ganz egal, wie viel Kräutersaft
du ihr brauen würdest.«
Fanni hörte den Opa schluchzen.
Ich sollte absteigen und nach
Eisenstein zurückfahren, dachte sie. Es ist schon spät. Um sieben Uhr wird im
Festsaal das Abendessen aufgetragen. Es fällt auf, wenn ich nicht da bin.
Aber sie blieb sitzen.
Fanni blieb sitzen und starrte
den Waldboden zu ihren Füßen an, bis sie Sprudel neben sich spürte. Er legte
den Arm um ihre Schultern.
»Hofer wird gleich da sein«,
sagte er.
Hofer? Im nächsten Augenblick
fiel es ihr ein. Hofer war Dienststellenleiter der Polizeiinspektion
Regen-Zwiesel. Sprudel und Hofer kannten sich aus gemeinsamen Jahren bei der
Polizeidirektion in Straubing. Kurz nachdem Sprudel in Pension gegangen war,
war Hofer zum Chef in Regen befördert worden. Er war es, der Sprudel eingeladen
hatte, in seiner Dienststelle eine Vortragsreihe zum Thema Verhörmethoden zu
halten. Und Sprudel war angereist.
Wegen einer Vortragsreihe!
Fanni musste lächeln.
Im vergangenen Jahr war Sprudel
bereits dreimal von Levanto an der italienischen Riviera, wo er seit seiner
Pensionierung lebte, nach Niederbayern gereist.
Aber nicht wegen einer
Vortragsreihe, sondern wegen ihr.
Seit sie beide zusammen den Mord
an Mirza Klein in Erlenweiler aufgeklärt hatten, verband Fanni und Sprudel eine
enge Freundschaft. Tatsächlich war es viel mehr als eine Freundschaft.
Fanni wusste, dass Sprudel mit
weit geöffneten Armen in der Tür seines Hauses in Levanto stehen würde, falls
sie sich je dazu entschließen sollte, ihren Mann Hans Rot zu verlassen, um fast
tausend Kilometer von ihren Kindern und Enkeln entfernt zu leben. Was Fanni
nicht recht wusste, war, ob es klug wäre, die ihr so wertvolle Freundschaft mit
Sprudel zugunsten einer Beziehung mit ihm aufzugeben.
Die Entscheidung darüber musste
aufgeschoben werden – auf morgen, auf nächste Woche, nächstes Jahr.
Im Moment zählte nur, dass
Sprudel hier war und mindestens zehn Tage bleiben würde.
Er hatte sich im Hotel Zur
Waldbahn in Zwiesel ein Zimmer gemietet. Fanni hatte lauthals lachen müssen,
als er es ihr erzählte. »Keine fünfzig Meter von deinem Hotel entfernt steht
das Zwiesler Gymnasium«,
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