Eskandar: Roman (German Edition)
aus.
Wenn unser Leben und das unserer Kinder ihm nichts wert ist, dann sollte er zumindest an den Vierfünftelanteil von unserer Ernte und allem, was wir erwirtschaften, denken.
Vier Fünftel von einem kleinen Dorf wie diesem bedeuten ihm nichts. Die Farangi zahlen gutes Geld, sagt Hodjat beschämt.
Geld?, fragt Morad-kadjeh. Was ist das? Ist es etwas, was einen höheren Wert hat als Wasser oder ein Menschenleben?
Hodjat weiß nicht, was er sagen soll, zuckt nur die Schultern.
Warum teilen diese Fremden das Wasser nicht mit uns? Fürchten sie keinen Gott?
Sie beten zum selben Gott, zu dem auch wir beten, erklärt Hodjat. Wie es aussieht, gefallen die Gebete der Kafar dem Herrn besser, und wir sollten lernen, unsere Gebete auf ihre Art zu sprechen, sagt Morad-kadjeh bitter.
Sie sind Engelissi, erklärt Hodjat. Und sie haben Kanadier und Polen mitgebracht und zu ihrem Schutz Soldaten aus ihrer Kolonie Indien. Das sind andere Länder, so wie der Iran auch ein Land ist. Der Arbab und der König haben den Farangi den Boden verpachtet und ihnen das Recht verkauft, nach Naft, nach Petroleum, zu suchen. Hodjat erzählt vom Pfauenthron, der Hauptstadt Teheran, von der Verfassung und dem Parlament, das es seit Kurzem im Iran gibt, und vom König, der ein Feigling und ein Versager ist.
Parlament, Petroleum, Geld, sprich von Dingen, die wir verstehen, sagt Morad-kadjeh traurig. Er sieht Hodjat eine Weile stumm an, dann sagt er: Hilf uns.
Ich bin auf der Flucht, antwortet Hodjat, und zwar vor genau denjenigen, die verantwortlich sind für euer Schicksal.
Dann müssen wir die Sache selbst in die Hand nehmen, bestimmt der Krumme und klingt wie einer, der selber nicht glaubt, was er sagt. Die stärksten unserer Männer sollten zu den Farangi gehen und sie bitten, das Wasser mit uns zu teilen.
Die Farangi geben nichts ab, antwortet Hodjat. Nicht nur euer Wasser, ganze Provinzen haben sie in Besitz genommen.
Einmal hat einer unserer Männer einen Bock gejagt, erinnert Morad-kadjeh sich. Da sind die Reiter des Arbab gekommen und haben den Mann verfolgt. Es ist das Wild des Khan, haben sie gebrüllt und den Mann verprügelt, bis er gestorben ist. Seit diesem Tag hat keiner von uns es gewagt, auch nur einen Fuß jenseits der Felder zu setzen. Wir haben nicht einmal gewusst, was sich hinter dem Berg befindet. Jetzt erzählst du uns von einer Hauptstadt, einem König, der sein Volk hasst, und fremden Herrschern, die mit ihren Kriegern in unser Land einfallen und es besetzen. Morad-kadjeh starrt Hodjat an, ohne ihn wirklich zu sehen. Warum schickt Gott dich erst jetzt? Welchen Nutzen hat es, wenn wir jetzt noch die Welt begreifen?
Für unsere Kinder ist es wichtig, lasst ihn sprechen, sagt Sahra und fragt, gibt es nirgendwo einen Ort mit Menschen, die gut sind?
Hodjat muss erst überlegen, dann sagt er, es hat einmal einen guten, großen Mann in unserer Heimat gegeben. Das ist lange vor unserer Zeit gewesen. Sein Name war Zartosht, Zarathustra, und er ist ein Prophet gewesen. Seine Lehre ist einfach. Er predigt die Reinheit von Erde, Wasser, Licht und Luft.
Auch für uns sind Erde, Wasser, Licht und Luft heilig, sagt Sahra.
Nicht einmal der Atem des Menschen durfte das heilige Feuer berühren. Und ihre Toten haben sie nicht im Boden beigesetzt, um ihn nicht zu verunreinigen, erklärt Hodjat. Zartosht sagt, jeder Mensch trägt Gott in sich. Er sagt, das Feuer ist heilig, denn es ist das Symbol der Sonne. Zartosht hat gesagt, wir Menschen sollen uns leiten lassen von gutem Denken, gutem Sprechen und guten Taten.
Unser Denken, Tun und Sprechen sind stets gut gewesen, sagt der krumme Dorfvorsteher.
Kennst du einen Ort, an dem das Wasser noch fließt und die Felder fruchtbar sind?, fragt Sahra.
Mit der Spitze seines Messers kratzt Hodjat den Umriss des Iran in den Lehmboden. Hier ist Russland, das Reich des Zaren. Das ist das Kaspische Meer, wo es Wälder und Felder gibt und alles grün und fruchtbar ist.
Dort werde ich hingehen, sagt Eskandar mit leiser Stimme.
Sahra streicht ihrem Sohn über den Kopf und sagt, du musst mir versprechen, dass du es tun wirst. Wird mein Sohn es schaffen?, fragt sie den Reiter.
Es ist nicht nah, sagt Hodjat. Aber Eskandar kann es schaffen, lügt er.
Was ist auf dieser Seite unserer Heimat?, fragt Sahra.
Die Heimat unserer afghanischen Brüder, sie sprechen unsere Sprache, und auch um ihr Land haben die Engelissi und Russi-Farangi Jahrzehnte Krieg geführt.
Was ist hier unten?, fragt
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