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Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel de Montaigne
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eine Frau oder ein Mädchen einen Fehltritt gegen ihre Ehre gemacht hätte! Kurz, nach meinem Dafürhalten kann sie alles tun und tut alles. Und Pindar nennt sie daher, wie man mir gesagt hat, mit Recht die Königin und Herrscherin der Welt.
    Derjenige, den man dabei antraf, daß er seinen Vater schlug, verantwortete sich damit: Es sei in seiner Familie so Gewohnheit; also habe sein Vater seinen Großvater und sein Großvater seinen Urgroßvater geschlagen; der dort, indem er auf seinen Sohn wies, wird auch mich schlagen, wenn er zu meinem Alter gelangt sein wird. Und der Vater, der den Sohn auf die Gasse schleppte und mit Füßen trat, befahl ihm an einer Ecke einzuhalten, denn weiter hab' er es mit seinem Vater nicht getrieben! Hier wäre die Grenze der erblichen Mißhandlungen, welche die Kinder in ihrer Familie an ihren Vätern zu verüben pflegten. Aristoteles sagt, die Weiber reißen sich ebensowohl aus Gewohnheit als wegen Krankheit ihr Haupthaar aus und käuen an ihren Nägeln und essen Kreide, Kohlen und Erde; und es ist mehr aus Gewohnheit als Naturtrieb, daß der Mann sich zum Manne tut.
    Die Gesetze des Gewissens, die nach unserer Sage in der Natur liegen, entspringen aus der Gewohnheit. Ein jeglicher Mann, der in seinem Inneren die Meinungen und Sitten verehrt, die um ihn her gebilligt werden und im Schwange gehen, kann sich ihnen nicht entziehen, ohne daß ihn sein Gewissen darüber bestrafe, noch sich demselben gemäß betragen, ohne daß er ihnen Beifall gäbe. Wenn vor alters die Cretenser jemand fluchen wollten, so baten sie die Götter, ihn in eine böse Gewohnheit fallen zu lassen. Die vornehmste Wirkung aber ihrer Macht ist, uns dergestalt zu unterwerfen und zu beherrschen, daß wir kaum das Vermögen behalten, uns ihr wieder zu entreißen und uns der Freiheit zu bemächtigen, über ihre Verordnungen nachzudenken und vernünftige Betrachtungen anzustellen. In Wahrheit, weil wir solche von unserer Geburt an mit der Muttermilch einsaugen und sich das Antlitz der Welt unserem Blicke also darstellt, wie wir zuerst die Augen eröffnen: so scheint es, als ob wir dazu geboren sind, in diesem Joch zu gehn. Und die allgemeine Einbildung, die wir um uns her in Ansehen erblicken und welche schon in dem Samen wirkte, aus dem wir erzeugt wurden, kann uns nicht wohl anders als natürlich und verbindend vorkommen. Daher es denn auch kommt, daß alles, was nicht in die Fugen der Gewohnheit paßt, sich auch nicht mit der Vernunft zu vertragen scheint; obgleich, Gott weiß, dieser Glaube oft sehr vernünftig ist.
    Wenn ein jeder, der einen Sittenspruch hört, wie wir, die wir uns selbst studieren, zu tun gelernt haben, alsobald nachforschte, von welcher Seite ihn derselbe eigentlich treffe: so würde ein jeder finden, daß dieser nicht sowohl eine hübsch gerundete Maxime als vielmehr ein Peitschenhieb sei, der auf die träge Dummheit seines Urteils fällt. Aber man nimmt die Lehren der Wahrheit und ihre Warnungen als ans Volk gerichtet und gar nicht an uns selbst; und anstatt solche auf die eigenen Sitten anzuwenden, faßt sie jedermann bloß ins Gedächtnis, und das ist ebenso dumm, als es unnütz und vergebens ist. Aber laß uns zurückkehren zur Macht der Gewohnheit.
    Die Völker, die an die Freiheit gewohnt sind, sich selbst zu beherrschen, halten jede andere Regierungsform für ungeheuer und der Natur zuwider. Solche Völker aber, welche an die monarchische Regierung gewohnt sind, machen es gerade ebenso. Und welche günstige Veranlassung ihnen Glück und Umstände an die Hand geben mögen, selbst dann, wenn sie mit großen Schwierigkeiten sich eines Despoten entledigt haben, haben sie nichts Angelegentlicheres am Herzen, als einen anderen mit ebenso großen Schwierigkeiten auf den Thron zu pflanzen, weil sie sich nicht entschließen können, die Gewalt des Despotismus zu hassen. Es ist die Macht der Gewohnheit, die es bewirkt, daß ein jeder gern an dem Ort bleibt, wo er geboren worden. Die Wilden in Schottland bekümmern sich wenig um das südliche Frankreich, und die Skythen machten sich nichts aus Thessalien.
    Darius tat an einige Griechen die Frage: Um wieviel sie wohl die Gewohnheit der Indianer annehmen würden, ihre verstorbenen Väter zu essen? Denn dies war dort der Brauch, nach der Meinung, sie könnten solchen kein ehrenvolleres Begräbnis geben als in ihren eigenen Eingeweiden. Die Griechen antworteten: Um keinen Preis in der Welt würden sie das tun. Als er aber bei den Indianern versucht

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