Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel de Montaigne
Vom Netzwerk:
welcher so unerbittlich die zwei Musikintervalle, wegschnitt, die Phrinys dem alten Modum hinzutun wollte, bekümmerte sich nicht darum, ob die Modulation dadurch wohlklingender würde oder die Akkorde zusammenhängender; ihm war es genug, um sie zu verwerfen, daß es eine Veränderung in der alten, bekannten Tonleiter sei; das ist es auch, was das alte verrostete Schwert der Gerechtigkeit zu Marseille andeutete.
    Ich habe eine Abneigung vor aller Neuerung, unter welcher Gestalt sie auch auftritt; und meine nicht unrecht zu haben, nachdem ich davon so schädliche Folgen erlebt habe. Jene, die uns seit so vielen Jahren drückt, hat zwar nicht alles selbst gewirkt. Man kann aber doch mit Schein behaupten, daß sie zufälligerweise alle die Übel und Nachteile erzeugt und hervorgebracht hat, die vorher ohne und wider sie geschehn sind; mag sie sich dafür die Nase zwicken:
     
    Heu, patior telis vulnera facta meis! 8
     
    Diejenigen, welche einen Staat aus den Fugen heben, sind gewöhnlich die ersten, denen er auf den Kopf stürzt. Die Frucht der Verwirrung ist selten der Lohn dessen, der sie angestiftet hat; er rührt und trübt das Wasser für andere Fischer. Der Zusammenhang und das Gewebe dieser Monarchie, und dies große Gebäude, das durch die Neuerung in seinen alten Jahren so sichtlich zerrüttet und aufgelöst worden, vermag dem Unheil so viel Öffnung und Eingang verschaffen, als man wolle; man wird es dennoch schwerer finden, die Majestät von ihrer Höhe bis zur Mitte zu erniedrigen, als sie von der Mitte bis zum Boden zu stürzen. Um so schädlicher aber die Erfinder sind, um so schändlicher sind die Nachahmer, daß sie sich auf Beispiele einlassen, deren Nachteil und Abscheulichkeit sie empfunden und bestraft haben. Und, wenn noch selbst beim Unheilstiften ein gewisser Grad von Ehre stattfindet, so müssen diese letzten den ersten den Ruhm der Erfindung und Herzhaftigkeit beim ersten Wagen überlassen. Alle Arten von neuer Zügellosigkeit schöpfen leicht und lustig aus dieser ersten unversiegbaren Quelle die Bilder und Muster zur Störung unserer Staatsverfassung.
    Man liest in unseren Gesetzen selbst, die dazu gemacht sind, diesem ersten Übel zu steuern, die Methode und die Entschuldigung aller Arten von heillosen Unternehmungen, und geht es uns damit, wie Thucydides von den bürgerlichen Kriegen sagt: um öffentliche Gebrechen zu beschönigen, belege man sie mit neuen, sanftklingenden Benennungen und mildere und verkleistere ihre wahren Namen; dennoch will man unser Gewissen und unseren Glauben reformieren; honesta oratio est. 9 Sicher, aber der beste Vorwand bei jeder Neuerung ist gefährlich.
     
    Adeo nihil motum ex antiquo, probabile est. 10
     
    Mich deucht auch, um es frei heraus zu sagen, es sei ein gut Teil Eigenliebe und nicht wenig Eigendünkel erforderlich, seine eigene Meinung für wichtig genug zu halten, um solche auf Gefahr des öffentlichen Friedens einzuführen und dagegen die mannigfaltigen, unvermeidlichen Übel und diese tiefe Verderbnis der Sitten für nichts zu achten, welche bürgerliche Kriege nach sich ziehen, und also seine Ansichten für wichtiger anzusehn als die Umkehrung der Staatsverfassung in so wichtigen Dingen.
    Heißt das nicht verkehrt zu Werke gehn, wenn man so viele gewisse und bekannte Laster herbeiführt, um Irrtümer zu bestreiten, die nicht einmal zugegeben werden und über welche sich reden läßt? Gibt es eine schlimmere Art von Lastern als solche, welche gegen unser eigenes Wissen und Gewissen anlaufen?
    Der Senat zu Rom wagte es, dem Volk, das mit ihm über den Dienst der Religion uneinig war, folgende Ausflucht für bar Geld zu geben: Ad Deos id magis quam ad se pertinere; ipsos visuros ne sacra sua polluantur 11 ; ebenso wie das Orakel den Delphiern antwortete, welche im Medischen Krieg den Einfall der Perser fürchteten. Sie fragten den Gott, wie sie es mit den heiligen Schätzen seines Tempels halten, ob sie solche verbergen oder wegbringen sollten. Er antwortete ihnen, sie sollten alles unangetastet lassen und sich um sich selbst bekümmern. Er werde sein Eigentum schon zu beschützen wissen.
    Die christliche Religion trägt alle Kennzeichen einer großen Gerechtigkeit und Nützlichkeit an sich. Das deutlichste darunter aber ist die angelegentliche Empfehlung des Gehorsams gegen alle weltliche Obrigkeit und Befolgung aller bürgerlichen Gesetze. Welch ein bewunderungswürdiges Beispiel hat uns davon die göttliche Weisheit gegeben, die, um das Heil

Weitere Kostenlose Bücher