Schatz, schmeckts dir nicht
Kapitel I
Dieser Blick – Wahnsinn! Die wussten schon, wo es schön war, diese fürstlichen Bauherren. Ein leichter Wind, etwas kühl schon, strich die Anhöhe herunter und ließ Haare und Röcke und Hosenbeine flattern. Eine bunte Truppe hatte sich auf der Schlossterrasse versammelt, um ebendort einen Begrüßungscocktail als Aperitif respektive Sundowner zu nehmen, wie der Gastgeber sich auszudrücken beliebt hatte. Er pflegte eine etwas gestelzte Art der Rede – vielleicht glaubte er das seiner adligen Herkunft schuldig zu sein.
Helene überließ die Leute um sich herum ihrem Smalltalk, und trat an den Rand der Terrasse, um die zu Füßen des Schlosses liegende, englische Parklandschaft mit ihren schon herbstlich gefärbten Bäumen und den teppichgleichen Rasenflächen in Ruhe bewundern zu können. Sie atmete tief durch die Nase ein, denn die Luft hatte hier ihren ganz eigenen Geruch. Eine faszinierende Mischung aus vermoderndem Laub, Tannenwald, Holzfeuer – ja, auch Pilze mischten da mit. Helene fand schade, dass man nicht in so etwas baden konnte. Düfte und Gerüche als etwas, das einen von oben bis unten umhüllte, stellte sie sich einfach toll vor.
Weniger toll war die Note des Duftwässerchens, bestimmt enorm teuer, die sich aufdringlich über ihre Duftcollage legte. Natürlich, das kam von dieser Barbiepuppe, die ihr sofort aufgefallen war. Mindestens 20 Jahre jünger als ihr Begleiter, ein Typ, den Helene auf den ersten Blick unsympathisch fand, mit seinen gegelten Haaren und der albernen Designerbrille.
»Na, finden Sie es auch so bezaubernd hier?«, sprach Helene die junge Frau, die sich neben sie gestellt hatte, freundlich an.
»Ach, für mich ist es ziemlich öde. Und dann die armen Tiere! Ich bin ja gegen Jagd und so«, sprach diese und verzog beleidigt ihre pinkfarben bemalten Lippen.
»Außerdem esse ich sowieso kein Wild. Aber Carlo meinte, wir könnten uns wenigstens ein nettes Weekend hier machen, wenn ihn die Werbeagentur schon in seiner Freizeit für die Wildspezialitäten-Kampagne von Herrn Bockdorfer hierher schickt. Hätte er mir das mit der Jagd vorher gesagt, wäre ich gar nicht erst mitgekommen. Und Kochen interessiert mich sowieso nicht.«
»Sie Arme!« Mehr an tröstenden Worten auf dieses quengelnde Selbstmitleid war einfach nicht drin. Was hatte sich dieses Mädel denn unter dem ›Hubertuswochenende auf Schloss Warthenstein mit Jagdgesellschaft und Wildbretzubereitung‹ vorgestellt?
Zugegeben, auch Helene war überrascht, von Jan eine derartige Einladung als Geburtstagsgeschenk überreicht zu bekommen. Aber er war eben nicht der Typ, der über Flohmärkte und durch edle Einkaufspassagen pilgerte, um nach Schätzen zu suchen, die er seiner Gemahlin hätte verehren können – schade eigentlich. Und als er kurz vor Helenes Geburtstag in der Zeitung diese Anzeige für Gourmets, Jagdfreunde und Hobbyköche entdeckt hatte, war er sehr erleichtert und ziemlich stolz gewesen, etwas so Originelles aufgetrieben zu haben.
Geplant war ein kinderfreies Wochenende in angenehmer Umgebung, mit besonderer Berücksichtigung von Helenes leidenschaftlichem Interesse an der Kunst des Kochens. Nun, die Betonung auf »kinderfrei« hatte einen Beigeschmack von Absurdität, da es mittlerweile eher die Kinder waren, die Wert auf familienfreie Wochenenden legten: Janina, 16, steckte ständig mit ihrer besten Freundin zusammen, und die beiden waren am Wochenende unterwegs – was auch immer das hieß. Und Peer, mit seinen achtzehn Jahren, steckte ebenfalls ständig mit seiner Freundin zusammen. Diese Beziehung schien etwas Ernstes zu sein, und der Junge war fürchterlich im Stress, Abitur, Basketball und Freundin unter einen Hut zu bringen. Und dann auch noch Familienleben? So kam unter diesem Aspekt das Geschenk um einige Zeit zu spät, aber die Aussicht auf zwei Tage mit Jan allein, ohne Telefon, Termine, weg von seinem ständig rufenden Schreibtisch, war auch nicht die schlechteste. Und war das Erlernen der Zubereitung von edlem Wildbret nicht schon immer ihr Herzenswunsch gewesen? Nun ja, ihr Mann hatte sich zumindest einige Gedanken über das Geschenk gemacht.
Helene bedankte sich also überschwänglich für diese wundervolle Einladung, Jan war sichtlich beglückt, das richtige Geschenk getroffen zu haben, und als der Reisetermin dann in greifbarer Nähe war, musste er leider genau an diesem Wochenende zu einem Architekturkongress. Für das Weiterkommen in seinem harten Geschäft
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