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Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel de Montaigne
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unsrer Begierden hüten, und die wahren, unverfälschten Freuden von den gemischten und mit allerlei Mühseligkeit aufgefärbten Vergnügen unterscheiden. Denn die meisten Vergnügungen, sagen sie, kitzeln uns und umarmen uns nur, um uns zu ersticken, wie die Räuber taten, welche die Ägypter Phileten nannten; und wenn uns die Kopfschmerzen vor dem Rausche überfielen, so würden wir uns hüten, zuviel zu trinken; da geht aber die Wollust vorauf und verbirgt uns ihr Gefolge. Die Bücher sind angenehm allerdings; wenn aber der Umgang mit denselben uns zuletzt um unsre Munterkeit und Gesundheit bringt, welche das Beste sind, was wir haben, so laß uns sie weglegen! Ich gehöre zu denen, welche meinen, ihr Nutzen könne diesen Verlust nicht aufwägen. So wie Menschen, welche sich lange Zeit her von kränklichen Umständen geschwächt fühlen, sich endlich der Kunst des Arztes überlassen und sich Gesundheitsregeln vorschreiben lassen, um solche genau zu befolgen, so muß auch derjenige, der sich, weil er der Dinge satt und müde ist, dem gemeinen Leben entziehen will, die Einsamkeit den Vorschriften der Vernunft unterwerfen und solche im voraus nach reiflicher Überlegung einrichten. Er muß von aller Art Arbeit Abschied genommen haben, unter welcher Gestalt sie sich auch darbiete; und ganz vorzüglich alle Leidenschaften fliehen, welche die Ruhe des Leibes und der Seele stören, und dem Wege folgen, der seiner Sinnesart am besten behagt:
     
    Unusquisque sua noverit ire via. 16
     
    In der Wirtschaft, beim Studieren, auf der Jagd und bei allen andern Übungen muß er sich innerhalb der äußersten Grenzen des Vergnügens halten und sich hüten, so weit hinauszugehen, wo sich der Verdruß darunter mischt.
    Man muß sich so viel leichte Arbeit und Beschäftigung ausspüren, als nötig ist, um sich in Atem zu erhalten und sich vor der Unlust zu schützen, welche das andre Übermaß vom trägen, schläfrigen Müßiggang nach sich zieht. Es gibt trockne und heiklige Wissenschaften, die meistens nur Büchermacherwerk für Druckerpressen sind, die muß man denen überlassen, die im Dienste der Welt stehen. Ich, meinesteils, liebe nur die angenehmen, leichten Bücher, welche mich aufmuntern, oder solche, die mich trösten und mir Rat erteilen, wie ich es mit meinem Leben und mit meinem Tode halten soll.
     
    Tacitum silvas inter reptare salubres,
    Curantem, quidquid dignum sapiente bonoque est. 17
     
    Weisere Leute, die eine starke rüstige Seele haben, mögen sich eine ganz geistige Ruhe zuschneiden: bei meiner gemeinen Seele muß ich, um mich aufrechtzuerhalten, die körperlichen Bequemlichkeiten zu Hilfe nehmen, und da das Alter mir fast alle geraubt hat, die mehr nach meinem Gefallen waren, so richte und schärfe ich meinen Appetit auf solche, welche mehr mit meinen Jahren bestehen. Mit Zähnen und Fäusten muß man den Genuß der Vergnügungen des Lebens festhalten, welche uns unsre Jahre, eins nach dem andern, mit starken Klauen wegreißen:
     
    Carpamus dulcia; nostrum est.
    Quod vivis; cinis et manes et fabula fies. 18
     
    Was nun aber den Zweck des Ruhms anlangt, den Cicero und Plinius uns vorhalten, so ist solcher weit entfernt von meiner Rechnung. Die allerunverträglichste Gemütsart mit der Einsamkeit ist der Ehrgeiz. Ruhm und Ruhe sind Gäste, die nicht unter einem Dache herbergen können. Nachdem, was ich sehe, bleiben Seele und Absicht solcher Menschen, die nur Arme und Beine befreit haben, ärger in den Banden verstrickt als jemals.
     
    Tun', vetule, auriculis alienis colligis escas? 19
     
    Sie sind nur deswegen zurückgegangen, um einen stärkern Anlauf zu nehmen und durch einen kräftigern Sprung eine größere Lücke in dem Haufen zu tun. Hat man Lust zu sehen, wie sie um ein Gran zu leicht sind? Laß uns die Meinung zweier Philosophen auf die andre Schale legen. Sie waren von zwei sehr verschiedenen Sekten und schrieben, der eine an den Idomenäus, der andre an den Lucilius, ihre Freunde, um solche von der Verwaltung der Staatsgeschäfte abzumahnen, vor Standeshöhe zu warnen und ihnen zur Einsamkeit zu raten. Ihr habt, sagen sie, bisher auf Wellen treibend und schwimmend gelebt, kommt und beschließt euer Leben im Hafen. Euer voriges Leben lebtet ihr in der Sonnenhitze, lebt das folgende im lieblichen Schatten. Es ist unmöglich, den Geschäften zu entsagen, wenn ihr nicht ihren Früchten entsagt; zu diesem Ende entschlagt euch aller Sorgen für einen berühmten Namen. Es ist zu befürchten, daß der

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