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Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)

Titel: Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michel de Montaigne
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Glanz eurer vollbrachten Taten euch nur zu stark umglänze und euch bis in eure Landhütte folge. Mit den übrigen Wollüsten legt auch diejenige ab, welche aus dem Beifall andrer entspringt. Und was eure Gelehrsamkeit und Wissenschaft betrifft, so laßt die euch nicht so tief zu Herzen gehen; sie werden ihre Wirkung nicht verlieren, wenn ihr dadurch bessere Menschen werdet. Erinnert euch jenes Menschen, den man fragte, warum er sich's in einer Kunst so sauer werden lasse, für die es so wenige Kenner gebe. "Ich habe an einigen wenigen genug", antwortete er, "ich habe genug an einem; ich habe genug an gar keinem." Er sagte sehr wahr. Ihr und ein Genoß seid euch einander oder euch selbst ein hinlänglicher Schauplatz; das Volk sei euch einer, und einer sei euch ein ganzes Volk. Es ist doch eine ärmliche Ruhmsucht, aus seiner Geschäftslosigkeit und Abgeschiedenheit sich eine Ehre machen wollen. Man sollte es machen wie die Tiere, die vor dem Eingang ihrer Höhle die Spur auskratzen. Darauf kommt es nicht mehr, daß die Welt von euch spreche, sondern darauf, was ihr mit euch selbst zu sprechen habt. Kehrt in euch selbst zurück! Vorher aber bereitet euch darauf, euch da aufzunehmen: es wäre Torheit, euch selbst zu trauen, wenn ihr euch nicht zu beherrschen versteht.
    Solange ihr euch nicht selbst dahin gebracht habt, daß ihr es nicht mehr wagt, ohne Zeugen zu straucheln, und bis ihr Ehrfurcht und Scheu vor euch selbst habt, solange könnt ihr so gut in der Einsamkeit unnütze Dinge tun als in voller Gesellschaft.
     
    Obversentur species honestae animo. 20
     
    Stellt euch beständig in eurer Einbildung den Cato vor, und den Phocion und den Aristides, in deren Gegenwart selbst die Narren ihre Fehler verbargen, und bestellt sie zu Aufsehern aller eurer innern Gedanken. Sollten sie auf Nebenwege geraten, so wird die Ehrfurcht vor solchen Männern sie wieder auf die rechte Bahn leiten. Sie werden euch auf derselben erhalten und euch mit euch selbst zufrieden machen, damit ihr von niemand etwas borgt als von euch selbst, und so werden sich eure Seelen in gewissen gemäßigten Grenzen des Denkens erhalten und befestigen, worin sie sich wohl befinden werden; und wenn sie die wahren Güter richtig kennengelernt haben, deren man nur in dem Maße genießt, wie man sich darauf versteht, so werden sie sich damit begnügen, ohne der Verlängerung des Lebens oder der Vergrößerung des Ruhms zu begehren. So klingt der Rat der wahren und ungeschmückten Philosophie; nicht einer prahlerischen und geschwätzigen wie die Philosophie der andern beiden Ratgeber.
     
    Fußnoten
     
    1 Juvenal XIII, 24: Nur selten sieht man der Guten so viel als Pforten von Theben, als Arme vom Nil.
     
    2 Horaz, Epist. I, 11, 25: Was Sorgen zerstreut, ist Weisheit und Ruhe, nicht schöne Aussicht nach Hügeln und Meeren.
     
    3 Horaz, Od. III, 1, 40: Die Sorge schwingt zum Reiter sich im Sattel.
     
    4 Vergil, Aen. IV, 73: Der tödliche Pfeil haftet tief im Fleische.
     
    5 Horaz, Od. II, 16, 18: Warum entfliehst du deiner Wohnstadt? Und ziehst in kältre oder wärmre Länder? Ach, du entfliehst dir selber nie!
     
    6 Persius, Sat. V, 158: Du sprichst: Strick ist entzwei und ich bin frei? Ach ja, so sprach der Hofhund auch und schleppte im Fliehen Kett' und Knüppel mit.
     
    7 Lukrez. V, 44: Doch ist der Geist nicht geläutert, was müssen wir dann für Gefahren, was für Kämpfe bestehn, auch wenn wir selbst es nicht wollen! Was für fressende Sorgen zerfleischen die menschlichen Herzen, wenn die Begierde sie reizt, und ebenso quälende Ängste! Wie kommt Hochmut zu Fall, wie Geiz und freches Gebaren, welcher Ruin entsteht durch üppiges Protzen und Nichtstun.
     
    8 Horaz, Epist. I, 14, 13: Nur unser Geist ist schuld daran, der nie sich selbst entflieht.
     
    9 Tibull IV, 13, 18: Sei in der Einsamkeit dir selbst ein ganzer Klub.
     
    10 Terenz, Adelph. I, 1, 13: Ha! Des Toren, der für sein Herz nach Dingen sucht, die es mehr lieben soll als sein selbsteignes Ich!
     
    11 Quintilian X, 7: Selten ist der Mann, der nicht vergißt, daß er sich Ehrerbietung schuldig ist.
     
    12 Horaz, Epist. I, 15, 42: Sichre, kleine Renten lieb' ich freilich, und fehlten sie mir auch, so lebt' ich doch bei Mangel zufrieden und vergnügt: Fiel aber mir ein größres Los an reichern Saaten, fettern Weiden, so sagt' ich auch: Nur der ist weise, versteht des Lebens Lehren besser, der sein Vermögen nützt und es auf Land-und Hausbau wendet.
     
    13 Horaz, Epist. I, 1,

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