Essays: Erweiterte Ausgabe (German Edition)
ihm schwer zu erreichen ist.
Transvolant in medio posita, et fugienta capta. 7
Uns etwas verbieten, heißt uns darnach lüstern machen.
Nisi tu servare puellam
Incipis, incipiet desinere esse mea. 8
Es uns völlig überlassen, heißt es uns verächtlich machen. Mangel und Überfluß tun ebendieselbe Wirkung.
Tibi quod superest, mihi quod defit, dolet. 9
Die Begierde und der Genuß sind uns beide drückend. Die strenge Sprödigkeit der Geliebten verursacht uns Verdruß; aber ihre Willigkeit und Nachgiebigkeit tut es, die Wahrheit zu sagen, noch mehr; weil die Unzufriedenheit und der Zorn aus der Hochachtung entspringen, in der bei uns die gewünschte Sache steht, und die Liebe schärfen und erhitzen; die Sättigung aber gebiert Ekel. Es ist eine stumpfe, abgenutzte, müde und schläfrige Leidenschaft.
Se qua volet reguare diu, contemnat amantem.
Contemnite, amantes:
Sic hodie veniet, si qua negavit heri. 10
Warum brauchte Poppäa die Erfindung, eine Larve vor ihr schönes Gesicht zu nehmen, als solchem bei ihren Liebhabern einen höhern Wert zu geben? Warum hat man bis über die Absätze diese Schönheiten verhüllt und verschleiert, welche jede zu zeigen wünscht, welche jeden gelüstet zu sehen. Warum verdecken sie mit so vielen Gewändern eins über das andere die Teile, die hauptsächlich der Gegenstand unserer Begierden und der ihrigen sind? Und wozu dienen diese großen Reifen, womit neulich unsre Weiber ihre Hüften bewaffnet haben, als unsre Begierden anzukörnen und uns dadurch anzuziehen, daß sie uns in der Ferne halten.
Et fugit ad salices, et se cupit ante videri. 11
Interdum tunica duxit operta moram. 12
Wozu dient diese jungfräuliche Verschämtheit? Diese ruhige Kälte, diese strengen Mienen, diese ausgekramte Unwissenheit in Dingen, die sie besser wissen als wir, die wir sie darin unterrichten? Wozu anders, als unsern Wunsch nach ihnen zu verstärken; als unser Verlangen zu erhitzen und ihm endlich alle diese Zeremonien und Schwierigkeiten aufzuopfern? Denn es ist nicht nur Vergnügen, sondern auch Ehre dabei, dieses sanfte Widerstreben, diese kindliche Schamhaftigkeit zu überwinden und zu verführen, und eine kalte und gestrenge Ehrbarkeit der Gnade und Ungnade unserer Begierden zu unterwerfen. Es ist eine Ehre, sagt man, über die Bescheidenheit, die Keuschheit und die Mäßigkeit zu triumphieren: und wer den Weibern rät, diese Sitten abzulegen, der wird an ihnen und an sich selbst zum Verräter. Man muß sich stellen, als glaubte man, ihr Herz zittere vor Schrecken; der Schall unserer Worte beleidige die Reinigkeit ihrer Ohren; daß sie uns hassen und unserm Ungestüm aus notgedrungener Not nachgeben. Die Schönheit, so mächtig sie ist, kann sich doch ohne diese Nebenhilfen nicht recht genießbar machen. Man sehe nur in Italien, wo die meiste und die feinste Schönheit käuflich ist, wie sehr sie nach fremden Mitteln und andern Künsten suchen muß, um sie angenehm zu machen; und bei dem allen bleibt sie dennoch, was sie auch tun mag, da es eine käufliche Ware ist, schwach und wenig gesucht, gradeso wie es selbst mit der Tugend unter zwei ähnlichen Wirkungen geht. Wir halten diejenige für die schönste und die würdigste, welche die meisten Schwierigkeiten und Gefahren zu überwinden hat. Es ist eine Wirkung der göttlichen Vorsehung, zuzulassen, daß ihre heilige Kirche beunruhigt werde, wie wir sie von so vielen Stürmen und Ungewittern beunruhigt sehen, um durch diesen Kampf die frommen Seelen zu erwecken und aus der Lässigkeit und Schläfrigkeit zu reißen, in welche sie eine so lange Ruhe versenkt hatte. Wenn wir den Verlust, den wir durch die Anzahl derjenigen erlitten haben, welche den Weg des Irrtums betreten, gegen den Gewinn aufwägen, der uns dadurch wird, daß es uns wieder in Atem setzt, unsern Eifer und unsere Kraft von neuem belebt, daß wir Anlaß zum Kampf haben, so weiß ich nicht, ob der Schaden so groß sei als der Nutzen. Wir haben geglaubt, das Band unserer Ehen fester zu knüpfen, dadurch, daß wir es ganz und gar unauflösbar machten; aber in eben dem Maß, wie der Zwang fest zugeschürzt hat, in eben dem Maß hat die Verknüpfung des Willens und der Neigung nachgelassen und ist schlaffer geworden. Und im Gegenteil, was in Rom die Ehen so lange Zeit in Ehren und Sicherheit erhielt, war die Freiheit, daß jeder, wer nur wollte, sich scheiden konnte. Sie hielten ihre Weiber besser, weil sie solche verlieren
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