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Esswood House

Esswood House

Titel: Esswood House Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Straub
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Herzschlag wurde langsamer, die Röte wich aus seinen Wangen. Standish sah weiter unverwandt auf die komplizierte Karte. Esswood war mit einem leichten Bleistift-X markiert worden. Er verspürte die profunde Erleichterung eines Mannes, der zum Tod durch Erhängen verurteilt und begnadigt wurde.
    An diesem Abend gab er die Karte Jean, die vor dem Fernseher saß. Standish dachte oft, daß Jean, während er seine Vorlesungen hielt, den ganzen Nachmittag As the World Turns , General Hospital und The Young and the Restless ansah. »Sehr schön«, sagte sie und hielt ihm die Karte wieder hin. Im Flimmern des Fernsehers wirkten ihre Wangen so aufgepumpt wie Luftkissen. Jeans Körper war im selben Maß wie ihr Bauch angeschwollen und hüllte sie in einen unansehnlichen Mantel, den Eis und Donuts geschaffen hatten. Er nahm ihr die Karte aus den aufgequollenen Fingern. Er stellte sich vor, daß Isobel Standish ihr ganzes Leben lang schlank geblieben war.
    »... wofür sie auch gut sein mag«, hörte er Jean zum Fernseher murmeln.
    »Was?«
    »Ich frage mich, wofür diese Karte gut sein mag«, sagte sie, sah ihn aber nicht an.
    »Warum fragst du dich das?« fragte er und konnte einen unerwartet schneidenden Unterton nicht unterdrücken.
    »Weil sie dir zeigt, wie du von Heathrow dorthin kommst.« Dann drehte sie den Kopf zu ihm um und er sah einen Ausdruck in ihren Augen, den er nicht verstand.
    »Heathrow ist der Name des Flughafens von London.«
    »Aber du fliegst nicht nach London. Du fliegst an einen Ort, der Gatwick heißt.«
    Der Name Gatwick klang vertraut. Als das Ticket für seinen Charterflug eingetroffen war, hatte Standish nur einen Blick darauf geworfen und den Umschlag dann in die Schublade seiner Kommode gelegt. Ihm war kurz aufgefallen, daß er am JFK nur eine Stunde Zeit hatte, um in den Transatlantikflieger umzusteigen, ein weiterer Grund für Sorge und Unsicherheit, da lange Verspätungen bei allen Flügen mittlerweile an der Tagesordnung waren. Er ging die Treppe hoch zu seinem Schreibtisch und nahm den Umschlag mit dem Ticket zur Hand.
    »Du hast recht«, sagte er, als er wieder nach unten kam. Jean grunzte. Standish ging zum Bücherregal, zog den Atlas unter den Sachbüchern heraus und schlug England im Index nach. Gatwick war nicht aufgelistet.
    Jean gegenüber erwähnte er das nicht, als er das Buch wieder ins Regal stellte. Er setzte sich in den Sessel neben ihrem und schlug Robert Walls kleine Karte mit dem komplizierten Wirrwarr von Straßen und Kreuzungen auf. Keiner der schwarzen, fett gedruckten Ortsnamen war Gatwick. Auch keine der kleineren Ortschaften zwischen London und Lincolnshire. Gatwick lag außerhalb der Karte. Na ja, er würde den Ort finden, wenn er dort eintraf. Tankstellen führten Karten. Wahrscheinlich verkauften sie Karten am Flughafen.
    Obwohl Standish seine Post täglich sondierte, schrieb Robert Wall nicht, um ihm mitzuteilen, daß Esswood sich veranlaßt sah, die Einladung zu widerrufen; Standish genehmigte sich zwei weitere Drinks während des langen Flugs, und fast noch einen vierten, bis er sich an Jeremy Starger erinnerte und statt dessen Crack, Whack and Wheel aus dem Handgepäck holte. Durch den Gin fühlte er sich gelöst und entspannt und auf angenehme Weise benebelt, als er Isobels Buch aufschlug. Die Unterstreichungen, Anmerkungen und Kommentare, die er gemacht hatte, fielen ihm beruhigend ins Auge und legten Zeugnis ab vom literarischen Wert von Isobels Gedichten und seiner eigenen Tiefsinnigkeit - von der Seriosität dieses Unterfangens, dessentwegen er sich jetzt in zehntausend Meter Höhe über dem Atlantik befand. Hier hatte er die greifbaren Spuren eines wachen Gelehrtenverstands, der sich eines würdigen Themas angenommen hatte. Vgl. Psalm 69 , lautete eine der Anmerkungen. Welt antwortet nicht auf das Flehen um Gnade, ironische Absicht; Bez. Ehemann? In einer anderen Farbe hatte er hinzugefügt: eloquente Offerte von Barmherzigkeit, Attribut des dichterischen Selbst. Und darüber war mit Bleistift anti-narrative Strategie hinzugefügt worden. Isobel Standishs Werk war voll von anti-narrativer Strategie. An einer Stelle hatte Standish Odysseus, Dante an den dicht beschriebenen Rand gekritzelt. Der Titel des Gedichts, das er so gewissenhaft kommentiert hatte, lautete »Vorwurf«.

Auch fand er keine, sagte der Landstreicher
    Unter den modernden Giebeln des Hauses.
    Voller Schwermut war er, und keiner tröstete ihn,
    Niemand erhob die Stimme und sagte:

    »Setz

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