Esswood House
deine Indiskretion auf, kleine Närrin,
Wenn du die Brille abgenommen hast. Aber, aber, Miss Standish -«
Dieser leuchtende Mond. Die Menge
Hat sich schon auf den Terrassen versammelt.
Die Geschichte von einer, die zu spät kam
In die Zimmer der zerbrochenen Babys und ihrer Spielsachen.
Über nichts anderes reden sie ringsum
Und erheben den Vorwurf: Dachtest du, du würdest verschont?
Über diesen Zeilen schlief Standish ein.
Schwindelig vor Kater aß er die abscheuliche Mahlzeit, trank ein Glas Rotwein, der nach Lösungsmittel schmeckte, und führte sich trotzdem während des Films einen zweiten zu Gemüte. Er war es nicht gewöhnt, so viel zu trinken. Jean mißbilligte Wein zu den Mahlzeiten, und Standish schätzte die Mischung aus Trägheit und Verwirrung, die mehr als ein einziger Drink ihm bescherte, für gewöhnlich nicht. Doch dies war ein für ihn ungewohntes Leben - sein Heim lag Tausende Meilen hinter ihm, und er schwebte auf dem Weg zu einem unbekannten Ziel mit einer Ausgabe von Crack, Whack and Wheel in der Luft. Jeder Aspekt dieser besonderen Umstände barg den Keim der Angst in sich. Ein Monat, denn drei Wochen waren fast ein Monat, schien eine lange Zeit für einen Aufenthalt in einem abgelegenen Landsitz zu sein, um Manuskripte von Gedichten zu sichten, die er möglicherweise immer noch nicht ganz verstand.
Während des Films schlief er abermals ein und erwachte um fünf Uhr dreißig am Morgen schweißgebadet wieder, als wäre er von einem dünnen Ölfilm überzogen. Die Stewardeß hatte ihn mit einer Decke zugedeckt, er trat und schlug einen Moment um sich und stellte sich vor, daß etwas Abscheuliches, das Fragment eines Alptraums, auf ihm hockte - er wischte sich das Gesicht mit den gleichermaßen feuchten Händen ab und sah sich um. Nur ein paar gaffende Idioten schienen seinen momentanen Panikanfall beobachtet zu haben. Standish zog die Decke vom Boden hoch und bemerkte erst da, daß er eine Erektion hatte. Sein Traum wälzte sich dicht unter der Oberfläche seiner Erinnerung dahin wie eine riesige Bestie, die gerade Schutz im Verborgenen sucht.
Kurz nachdem er gegessen hatte verließ das Flugzeug die Reiseflughöhe. Standish und die anderen Passagiere schoben den Sichtschutz vor den Fenstern hoch; kaltes, graues Licht, wie das Licht unter Wasser, fiel in die Kabine. Sie schienen durch eine Schicht nach der anderen dieses silbernen unterseeischen Lichts zu sinken. Schließlich stieß das Flugzeug durch eine letzte Wolkenschicht, die von einem reinen, unbelebten Weiß erfüllt war, und darunter kam eine vollkommen fremdartige Landschaft zum Vorschein. Winzige, klar wie Kopfsteinpflaster umrissene Felder umgaben einen nicht minder winzigen Flughafen. In der Ferne schnitten sich zwei betonierte Autobahnen und verschmolzen am Rand einer kleinen Stadt, die von ordentlichen Reihen terrassenförmig angeordneter Häuser umringt wurde. Weit hinter dieser Spielzeugstadt lag ein Wald, ein gewaltiger Streifen leuchtenden Grüns, der die einzige wahre Farbe der gesamten Szenerie zu bilden schien. England , dachte Standish. Der Kitzel des Fremden ließ ihn erschauern. Hier würde alles Vertraute eine Illusion sein, eine Nachahmung des Vertrauten. Standish wurde klar, daß er in ganz England nur einen einzigen Menschen kannte, Robert Wall, und daß er von Robert Wall auch nur den Namen kannte.
Das Flugzeug landete ein gutes Stück vom Terminal entfernt. Die Passagiere mußten das Handgepäck, das sie mit in die Kabine genommen hatten, über den Asphalt tragen. Standishs Arme schmerzten vom Gewicht der verschiedenen Taschen, die er in letzter Minute mit Büchern und Kassetten gefüllt hatte, und sein Walkman schlug ihm am Riemen gegen die Brust. Er verspürte ein seltsames, beinahe fatalistisches Hochgefühl. Das silberne Licht, ein Licht, das man in Amerika nie sah - lag über dem Asphalt. Zwei zwergenwüchsige Männer in weiten, verdreckten Overalls sahen den Passagieren nach, die zum Terminal stapften. Es gab keine Schatten, nur das fahle, dunstige Licht. Standish wußte, selbst wenn er die Worte hören könnte, die die Männer wechselten, während sie geduckt durch den Rauch ihrer Zigaretten blinzelten, hätte er kein einziges verstanden.
Doch er wurde mühelos verstanden und verstand auch selbst alles, als er durch den Flughafen schlenderte. Der Zollbeamte behandelte ihn höflich, der Paßkontrolleur schien sich aufrichtig für Standishs Antwort auf die Frage nach dem Grund seines Besuchs
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