Etenya Saga - Band 1: Soyala - Zeit der Wintersonnenwende (German Edition)
könnte. Eine Macht, die nichts als Leid und Traurigkeit nach Etenya gebracht hatte. Ganz gleich, was ihre Stimme bei Lenno für Reaktionen ausgelöst hatte, sie würde sich niemals dieser absurden Prophezeiung beugen.
Die Tür öffnete sich und Bidziils Stimme hallte hinein. So hübsch, wie sie hergerichtet worden war, mit dem bodenlangen Kleid und den hochgesteckten Haaren, hätte man meinen können, dass sie auf dem Weg zu ihrer eigenen Hochzeit wäre. Es fühlte sich aber eher an wie vor dem Gang zum Schafott. Doch dies alles interessierte Olivia nun nicht mehr. Sie schaltete ihre Gedanken und Gefühle aus, drehte sich zur Tür und ging hinaus.
In Bidziils Gesicht lag ein verhöhnendes Grinsen und er begrüßte sie mit den Worten: „Ah, die haben gute Arbeit geleistet. Es ist fast nichts mehr zu sehen von unserem kleinen Rendezvous.“ Er kam ihr sehr nahe und hauchte mit seinem stinkenden Atem: „Ich freue mich schon auf unser Nächstes, du Biest!“
Olivia sah durch ihn hindurch und zuckte nicht einmal mit der Wimper. Doch tief in ihrem Inneren setzten seine Nähe und sein Gestank etwas in Gang, das sie selbst überwältigte. Während alle Fasern ihres Körpers sich versteiften, durchströmte sie die Hitze, die sie bereits am See in sich wahrgenommen hatte, als ihr die fremde Raubkatze solche Angst eingejagt hatte. Ihr Geist und ihre Wahrnehmung verschärften sich. Ihre Gefühle existierten kaum mehr, waren unbedeutend.
Als Bidziil losging und Olivia ihm folgte, wuchs eine blinde, schwer kontrollierbare Wut in ihr. Je länger der Weg dauerte, umso stärker musste sie ihre Rachegedanken zurückdrängen. Erst hatte er ihr Tatjana und nun auch Lenno genommen.
Wenn wir uns später treffen, werde ich dich töten, Bidziil, flüsterte Olivias eigene Stimme in ihrem Kopf und sie erschrak vor sich selbst. Sie fürchtete sich erneut davor, komplett den Verstand zu verlieren. Unsicher sah sie sich in ihrer Umgebung um, um festzustellen, ob sie es wirklich nur gedacht und nicht doch laut ausgesprochen hatte.
Die vielen Menschen, die in den Höhlengängen unterwegs waren, nahmen jedoch keine Notiz von ihr, schienen sie nicht wahrzunehmen. Oder schauten sie bewusst weg, weil sie sich vor Bidziil fürchteten?
Olivia hingegen sah sich sehr aufmerksam um. Dabei fiel ihr ein Mann auf, der sie zwar genauso wenig beachtete wie jeder andere, mit dem aber dennoch irgendetwas nicht zu stimmen schien. Die Instinkte der Berglöwin lösten eine neue Art von Nervosität bei ihr aus. Sie wusste auf einmal, dass dieser Mann dort nicht hingehörte, denn mit seinem Duft war etwas nicht in Ordnung. Er passte nicht nach Dena Enola.
Ein Knurren ertönte in ihrem Kopf. Ihre alarmierte und geschärfte Wahrnehmung nahm nun sämtliche Bewegungen, jede Kleinigkeit wahr, sondierte die Umgebung, um blitzschnell reagieren zu können, falls es nötig werden würde. Alles wurde registriert und ausgewertet.
Die Felsengänge, durch die sie geführt wurde, waren sehr belebt. Ständig scannte sie Gesichter und Reaktionen, überprüfte, ob diese ihr gefährlich werden konnten. Als sie eine größere Halle durchschritten, machten ihnen die Leute automatisch Platz, wichen ihnen quasi aus, sobald sie Bidziil erkannten.
Eine unerwartete Bewegung an der gegenüberliegenden Felswand, etwa zwanzig Meter von ihr entfernt, zog sofort Olivias Aufmerksamkeit auf sich. Diese kam genau auf sie zu. Es war nur eine kleine Geste gewesen, dafür aber sehr impulsiv ausgeführt und im nächsten Moment abgebrochen. Für Olivia war dies eindeutig eine Bedrohung!
Ruckartig drehte sie ihren Kopf und fixierte zwei Männer, die dort leicht von ihr abgewandt standen und ihre Gesichter unter Kapuzen versteckten. Einer von ihnen legte dem anderen in einer hektischen Bewegung die Hand auf den Arm, offenbar, um ihn von etwas abzuhalten. Was konnte das sein?
Adrenalin schoss durch Olivias Adern.
Wollte er sie etwa angreifen?
Sie witterte ebenfalls das Adrenalin, das die beiden Männer durchströmte. Dieser Duft hatte eine äußerst beunruhigende Wirkung auf sie und steigerte die Aggressivität des Raubtieres in ihr ins Unermessliche. Ein wildes Fauchen ertönte in ihrem Inneren. Die Berglöwin war bereit. Hätte sie gekonnt, sie wäre auf der Stelle aus ihrem menschlichen Körper herausgebrochen.
Erschrocken sah Olivia an sich hinunter. Glücklicherweise fand sie aber statt des erwarteten Fells nur ihren normalen Körper vor. Ihr Blick wanderte zurück zu den zwei
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